Auch 75 Jahre nach ihrem Abitur treffen sich Raymund Krause (links) und Willi Beißel noch regelmäßig im Stadtcafé Sander am Kohlenkamp. |
Beide sind Lehrersöhne. Raymunds Vater unterrichtete an den Volksschulen an der Eduard- und an der Mellinghofer Straße. „Ich habe als Junge an der Mellinghofer Straße Fußball gespielt. Autos kamen nur selten vorbei“, erinnert sich der pensionierte Richter Raymund Krause. Heute sind alle seine ehemaligen Spielplätze bebaut. In ihrer Freizeit nahmen Willi und Raymund wie selbstverständlich an den Geländespielen, an den Ausflügen und an den Heimabenden des Jungvolks und der Hitler-Jugend teil. Politik war für sie kein Thema. Jungen und Mädchen wurden getrennt unterrichtet und konnten sich so nur auf ihrem gemeinsamen Schulweg näher kommen.
„Mein Vater war Rektor an der Saarner Klostermarktschule, ehe er nach Selbeck strafversetzt wurde. Denn er wollte nicht in die NSDAP eintreten“, erzählt der pensioniert Bauingenieur und Statiker Willi Beißel. Nicht in die NSDAP eintreten wollte auch ihr Schulleiter am Staatlichen Gymnasium, Joseph Brüggemann. Er ließ seine Schüler zwischen den Zeilen wissen, dass Hitler und seine Partei nicht das Maß aller Dinge seien. Doch es gab auch einen Lehrer, der in SA-Uniform unterrichtete. Und an der Wand ihres Klassenzimmers hing ein Hitler-Portrait. Seit 1937 hieß das Staatliche Gymnasium Langemarkschule, benannt nach einem Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges.
Nach dem Abitur wurden die beiden Schulfreunde 1942 zur Wehrmacht eingezogen. Krause kam zur Luftwaffe, Beißel zu den Panzergrenadieren. Nach dem am 20. Juli 1944 gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler wurde der Offiziersanwärter Willi Beißel als Zuschauer zu den Volksgerichtsprozessen gegen den Männer des 20. Juli abkommandiert. Einer dieser Männer war der Generalstabsoffizier Günther Smend. Er hatte zehn Jahre vor Beißel und Krause am Staatlichen Gymnasium sein Abitur bestanden. „Die ganze Situation war mir sehr unangenehm. Mir taten diese armen und aufrechten Männer leid, die vom Richter Roland Freisler niedergeschrien wurden. Aber wir durften kein Mitleid zeigen. Im Gegenteil: Unsere Vorgesetzten hielten und dazu an: ‘Sieg heil’ in den Gerichtssaal hineinzurufen“, erinnert sich Beißel an diesen düsteren Moment seines Lebens.
Wenn Beißel und Krause an das Mülheim ihrer Kindheit und Jugend zurückdenken, dann sehen sie vor ihrem geistigen Auge eine klein und eng wirkende Stadtmitte mit vielen kleinen Geschäften, Kinos und Cafés. „Die Schloßstraße gab es während der 1930er Jahre in ihrer heutigen Form noch gar nicht. Sie wurde in Richtung Eppinghofer Straße durch einen querstehenden Häuserriegel abgesperrt. Eine besonders beliebte Bummelmeile befand sich damals zwischen dem Kohlenkamp und der Bachstraße“, erinnert sich Krause. Wenn er zusammen mit seinem Vater in die Stadt ging und für 35 Pfennig in einer Eisdiele am Kohlenkamp ein großes Eis essen durfte, war das für ihn ein Feiertag
Raymund Krause ist der Ansicht, „dass wir die Veränderungen im Leben unserer Stadt so nehmen müssen, wie sie sind. Er glaubt, dass sich das Stadtzentrum mit dem Stadtquartier Schloßstraße und dem Ruhrquartier künftig immer mehr zur Ruhr hin verlagern wird.
Dieser Text erschien am 13. Oktober 2017 in NRZ/WAZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen