Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich Inge
Lantermann als Behindertenkoordinatorin der Stadt. Obwohl sie ihre neue Stelle
bereits im November angetreten hat, sieht sie sich selbst noch in der
Einarbeitungsphase. „Dort, wo ich Leuten nicht auf Anhieb weiterhelfen kann,
weiß ich aber, wo sie Spezialistenrat finden können“, berichtet Lantermann.
Ausgerechnet bei der sehr anspruchsvollen Prüfung von Bauplänen brauchte sie
keine Einarbeitungszeit. „Denn ich habe ein gutes technisches Verständnis und
habe das Lesen von Bauplänen schon bei der Wohnberatung von Senioren gelernt.“
Immer wieder trifft sie in ihrem neuen Arbeitsbereich auf
Schnittstellen mit ihrem beruflichen Vorleben in der Seniorenberatung, wenn es
zum Beispiel um barrierefreies Wohnen im Alter geht. „Gerade die großen
Wohnungsbaugesellschaften MWB, SWB und Immeo haben inzwischen erkannt, dass sie
davon profitieren, wenn sie ihre Wohnungen barrierefrei umbauen und damit alte
und zuverlässige Mieter behalten können. Allerdings fehlt es in der Stadt immer
noch an einem ausreichenden Angebot barrierefreier und auch bezahlbarer
Wohnungen“, schildert Lantermann ihren Eindruck. Mit Sorge sieht sie deshalb in
die Zukunft, wenn die Generation der in den 60er Jahren geborenen Babyboomer in
Rente gehen wird und aufgrund ihrer zum Teil brüchigen und prekären
Berufsbiografien mit kleinen Renten auskommen muss.
Nicht nur mit Blick auf den demografischen Wandel einer
Stadtgesellschaft, in der schon heute jeder Dritte über 60 ist, ist Behinderung
für Lantermann kein Randthema. Sie weist darauf hin, dass rund 30 000 der aktuell etwa 166 000
Mülheimer als schwerbehindert gelten. Die Bandbreite der Behinderungen reicht
von der geistigen und körperlichen Behinderung bis zur psychischen Erkrankung.
„Menschen mit Behinderung sind weniger behindert, als das sie oft behindert
werden. Wir sollten nicht auf ihre Defizite, sondern auf die Möglichkeiten und
Fähigkeiten schauen“, rät Lantermann.
In der Zusammenarbeit mit der Fürsorgestelle des
Sozialamtes, die schwerbehinderte Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber in Fragen
rund um die Intergrationshilfen am Arbeitsplatz berät, stellt Lantermann immer
wieder fest,“dass Arbeitgeber sehr wohl bereit sind, Menschen mit Behinderung
einzustellen, wenn sie sehen, dass die Bewerber mit Handicap mit einer
Hilfestellung in der Lage sind ihren Arbeitsplatz auszufüllen.“
Auch mit Blick auf die Checkliste für barrierefreies Bauen,
sieht Lantermann, dass man bei Neubauten mit einem Mehraufwand von zwei bis
drei Prozent dafür sorgen kann, dass Zugangsbarrieren beseitigt und Behinderte
nicht behindert werden.
Sie denkt dabei zum Beispiel an Türen, die auch für
Rollstuhlfahrer breit genug sind, an akustische Etagenansagen im Aufzug, die
Blinden ebenso die Orientierung erleichtern, wie taktile Wegweiser oder
Hinweisschilder, die groß genug beschriftet sind, um auch von Sehbehinderten
gelesen werden zu können. Auch Haltegriffe und von Rollstuhlnutzern
unterfahrbare Waschbecken in Toiletten oder von Rollstuhlfahrern in Sitzhöhe
erreichbare Bedienungselemente im Aufzug können für Barrierefreiheit im Bau
sorgen. Deshalb würde Lantermann nicht nur öffentliche, sondern auch private
Bauherren gerne beraten, um rechtzeitig und damit kostensparend an
Barrierefreiheit zu denken. „Gerade der Umgang mit Architekten in dieser Frage
manchmal schwierig, weil sie Individualisten sind und ihre ganz eigenen
Vorstellungen haben“, weiß Lantermann.
Barrierefreiheit und Teilhabe von Menschen mit Handicap
entscheidet sich für Lantermann aber nicht nur am Bau, sondern auch an der
Frage, wie dicht und barrierefrei das Angebot des öffentlichen
Personennahverkehrs ist und ob das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne
Handicap durch ausreichende Personal- und Raumressourcen möglich gemacht werden
kann. Beim Thema Inklusion plädiert Lantermann für eine Wahlfreiheit der Eltern,
„weil sie voll dahinter stehen müssen, wenn Inklusion erfolgreich sein soll.“
Inge Lantermann wurde vor 49 Jahren in Mülheim geboren. Sie
erlernte nach der Mittleren Reife an der Mühlenfeldschule zunächst den Beruf
der Arzthelferin, ehe sie am Heinrich-Heine-Gymnasium in Oberhausen das Abitur
nachholte und anschließend eine Ausbildung zur Krankenschwester machte. In
diesem Beruf arbeitete sie einige Jahre in den Evangelisch Krankenhäusern
Mülheim und Oberhausen, ehe sie begann an der Fachhochschule Bochum Sozialarbeit
zu studieren. Nach dem Examen fand sie 1995 bei der Stadt eine Anstellung in
der Pflegeberatung, ehe sie 2003 in den Bereich der Wohnberatung für Senioren
wechselte. 2007 übernahm sie die Koordination des Netzwerks der Generationen,
in dem es darum ging die nachbarschaftlichen und ehrenamtlichen Aktivitäten in
den Stadtteilen zu stärken. Seit November 2013 ist sie als
Behindertenkoordinatorin der Stadt im Gesundheitsamt (Raum 2.15) an der
Heinrich-Melzer-Straße 1-3 zu finden und führt damit qua Amt auch die Geschäfte
der Arbeitsgemeinschaft der Behindertenverbände. Wer ihren Rat sucht, sollte
unter der Rufnummer 0208/ 455 53 67 oder per Mail an
inge.lantermann@muelheim-ruhr.de einen Gesprächstermin mit ihr vereinbaren.
Dieser Text erschien am 26. Februar 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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