Montag, 24. März 2014

Eine Schatzsuche in der eigenen Biografie: Der Verlag an der Ruhr hat Bildbände, Kurzegschichten und Spiele entwickelt, die mit Erfolg in der Pflege von demenziell veränderten Menschen eingesetzt werden


„Das ist doch eine Säge“, ruft der Mittachtziger begeistert aus, der im Haus Ruhrgarten zu den Gästen der Tagespflege für demenziell veränderte Menschen gehört. Mit Pflegekraft Cornelia Wagner, die die Tagespflege leitet, setzt er ein vierteiliges Puzzle mit einem entsprechenden Bildmotiv zusammen. Auch das nächste Bildpuzzle, das einen Hobel zeigt, zaubert ihm ein Lächeln ins Gesicht. „Den kenn ich auch. Ich war ja Handwerker“, erzählt er stolz. Und Wagner setzt nach: „Wo gehobelt wird...“ „Da fallen Späne“, ergänzt der Tagespflegegast mit Handwerksbiografie. Er lacht, als habe er einen kleinen Schatz gefunden, einen Schatz aus seiner Vergangenheit. Auch als Wagner einen Bildband aufschlägt, in dem unter anderem ein Foto vom Königssee zu sehen ist, werden bei ihrem Gast angenehme Erinnerungen wach. „Da waren wir auch mal. Denn meine Frau war eine Reisetante“, sagt er und lacht. Wagner lacht auch in einem nicht immer leichten Pflegealltag.

„Solche Bücher und Spiele sind uns eine große Hilfe, weil sie eine Brücke in die Vergangenheit bauen und uns helfen, etwas über die Biografie unserer Besucher zu erfahren“, sagt Wagner. „Das hilft vor allem jungen Pflegekräften, die sich kaum noch in die Jugendzeit ihrer Gäste hineinversetzen können und gibt ihnen ein Stück Sicherheit“, bestätigt ihre musiktherapeutisch arbeitende Kollegin Anke Kolodziej.

„Ich wollte wissen, was brauchen diese Menschen und diejenigen, die sich um sie kümmern“, erinnert sich die beim Verlag an der Ruhr für das Thema Altenpflege zuständige Redakteurin Evelyn Wagenblast. Bevor sie daran ging, Bücher und Spiele für Demenzkranke und ihre Pflegekräfte zu entwickeln, machte sie 2011 eine Hospitanz im Ruhrgarten und merkte dabei: „Weniger ist mehr. Wir brauchen einfache Texte und Fotos, die ohne Erklärungen Zugänge zur Biografie der demenziell veränderten Menschen schaffen und Emotionen wecken.“ Inzwischen hat sie im Auftrag ihres Verlages, der vor über 30 Jahren als Schulbuchverlag gegründet wurde, zum Teil selbst und zum Teil mit Autoren aus der Altenpflege nicht nur Bilderbücher, Puzzles, Spiele und Ratgeber, sondern auch ganz bewusst einfach strukturierte Vorlesegeschichten herausgegeben, in denen zum Beispiel von den Kartoffelferien, von einem Grammophon oder vom Hochzeitskleid die Rede ist. „Das motiviert unheimlich“, erinnert sich Kolodziej an das Lächeln eines demenzkranken Mannes, der sich durch die Geschichte vom Hochzeitskleid plötzlich erinnerte: „Ich war ja auch verheiratet.“ Besonders gern hat Kolodziej die Jahreszeiten-Bücher aus dem Verlag an der Ruhr, in denen unter anderem mit jahreszeitlichen Gedichten und Liedern (samt Musik-CD) wohltuende Erinnerungen geweckt werden.

„Wie bei unseren pädagogischen Büchern für die Schulpraxis geht es uns auch mit diesen Medien für Demenzkranke und die sie betreuenden Pflegekräfte darum, ein praktische Hilfestellung zu geben, um Ressourcen zu aktivieren“, schlägt Wagenblast eine Brücke vom alten zum neuen Verlagsgeschäft, „das“, wie sie sagt: „unsere ursprünglichen Erwartungen übertroffen hat.“

„Das ist etwas, was man sofort einsetzen kann, und was einem hilft, mit Demenzkranken ins Gespräch zu kommen, ohne das man gleich 1000 Fortbildungen machen muss“, lobt der in der ambulanten Pflege und bei der Alzheimergesellschaft engagierte Peter Behmenburg auch ein Poesiealbum, das mit seinen alten Fotos und Sinnsprüchen das Langzeitgedächtnis demenziell veränderter Menschen aktiviert. Aus der Hirnforschung weiß er, „dass ein solch positiv aktivierendes Identitätserlebnis demenzkranke Menschen bis zu fünf Stunden entspannen und beleben kann.“

Weitere Informationen sowie Rat und Hilfe rund um das Thema Demenz bietet die örtliche Alzheimergesellschaft: www.alzheimer-muelheim.de
 
Dieser Text erschien am 20. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung 

 

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