Dienstag, 4. März 2014

Der Clown im Manne: Backsteintheaterleiter Michael Bohn über die Lust an der Kostümierung


Auf Straßen und in Sälen trifft man in diesen tollen Tagen Cowboys, Clowns, Piraten und Prinzessinnen. Kein Wunder. Denn wir haben ja Karneval. Aber weshalb kostümieren sich Menschen in der Fünften Jahreszeit.

Sie kostümieren sich nicht nur im Karneval, sondern jeden Tag, das ganz Jahr über, sagt Michael Bohn. Der 56-jährige Sozialpädagoge muss es wissen, ist er doch als ehrenamtlicher Schauspieler beim Backsteintheater des Evangelischen Krankenhauses über viele Jahre in verschiedene Rolle geschlüpft und hat sich dafür immer wieder verkleidet, so dass er dafür nicht auf die Tollen Tage warten musste. Inzwischen ist aus dem Hobby ein Beruf geworden, auch wenn Bohn als hauptamtlicher Intendant und Regisseur des Theaters gewissermaßen die Bühnenseiten gewechselt hat.

Wenn Bohn an die Alltagskostümierung jenseits der Rosenmontagszüge denkt, hat er zum Beispiel an den Klassiker, Anzug und Krawatte, vor Augen.

Auch das ist eine Verkleidung, mit der sein Träger Seriosität ausstrahlen und Respekt bekommen will, glaubt Bohn. Aber diese dienstliche Kostümierung strahlt für ihn auch Standardisierung und Rationalität aus. Bohn ist fest davon überzeugt, dass Kleider Leute machen und ihre Haltung und ihr Denken beeinflusst. „Es gibt sicher auch Menschen, die mit ihrem Dienstanzug auch ihr eigenständiges Denken und Fühlen an der Garderobe abgeben, meint Bohn und stellt fest, dass gerade der Nadelsteifenanzug und die Krawatte in den letzten Jahren stark an Renommee eingebüßt haben, weil sehr viele Menschen mit Anzugträgern in der immer stärker durchrationalisierten Wirtschaft sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben.’“

Wenn der Mittfünfziger an seine Kindheit und Jugend zurückdenkt, fallen ihm vor allem zwei Kostüme ein, die er gerne trug. „Als Junge habe ich mich gerne als Cowboy verkleidet, weil ich damit etwas davon haben wollte, was der Cowboy ausstrahlte und was ich eher nicht hatte, Kraft, Stärke und Mut.“

Später, man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen, liebte Bohn seine damals langen Haare, seinen Parker und seine Jeanshose mit breitem Schlag. „Das war für uns damals auch wie ein Dresscode oder eine Verkleidung, die zeigte, dass wir mit dem gesellschaftlichen Establishment nichts zu tun haben wollten.“

Aus seinen Bühnenrollen weiß er, dass ein Kostüm zumindest auf Zeit auch die Persönlichkeit und das eigene Denken und Fühlen verändert. „Man bewegt sich ganz anders und spricht auch ganz anders, wenn man zum Beispiel plötzlich in den Rock eines Königs schlüpft oder auf der anderen Seite zum Clown wird.“

Dass der Clown und die Prinzessin immer noch zu den Kostümklassikern des Karnevals gehören, wundert ihn nicht.

„Der Clown steht für Fröhlichkeit, positives Denken und Unkompliziertheit. Damit vermittelt er den wohltuenden Eindruck, dass auch das Leben leicht sein könnte, während die Prinzessin für Würde, Schönheit und Respekt steht.“

Bohn ist immer wieder fasziniert, wie glücklich Jugendliche sind, die bei der Jungen Bühne des Backsteintheaters mitspielen, wenn sie im Kostümfundus in verschiedene Verkleidungen schlüpfen können. „Gerade für Jugendliche symbolisieren diese Kostüme auch die vielen Möglichkeiten, die sie im Leben haben könnten. Besonders gerne ziehen die elf, zwölf und 13-jährigen Mädchen Hochzeitskleider an. Das ist für sie, weil sie heute schon früh unter einem starken Leistungsdruck stehen, wie ein Ausgleich, die Flucht in eine heile Welt, in der sie von ihrer Zukunft in einer glücklichen und harmonischen Ehe und Familie träumen können.“

Die Kostümierung kommt in Bohns Augen „dem urmenschlichen Bedürfnis entgegen, einmal Grenzen zu überschreiten und ganz verschiedene Rollen auszuprobieren, die mit der eigenen Lebenswirklichkeit gar nichts zu tun haben.“ Ob Gangsterboss, Teufelsweib oder Engel, Bohn ist überzeugt, „dass eine Verkleidung immer auch ein Stückchen Mut verlangt, weil sie bei anderen Menschen Erwartungen weckt, die schnell auch peinlich werden können.“

Vor allem bei den gesellschaftlich noch weniger verbogenen Kindern sieht er deshalb „einen viel größeren Mut, dieses Risiko der Peinlichkeit in Kauf zu nehmen, während Erwachsene mit ihren Alltags- und Karnevalskostümen ja immer auch Liebe und Respekt ernten wollten.“

Den Nachwuchsschauspielern von der Jungen Bühne rät er immer wieder: „Es kommt nicht darauf an, auf der Bühne schön zu wirken. Man muss ehrlich spielen, Ecken und Kanten zeigen und auch den Mut zur Hässlichkeit haben.“ Auch auf der Bühne des Lebens hat Bohn oft das Gefühl, „dass Menschen eine Maske tragen und den anderen Menschen vorspielen wollen, dass ihr Leben schön und ohne Ecken und Kanten ist, was aber eben nicht der Lebenswirklichkeit entspricht.“

Er selbst hat unter anderem den Clown in der Commedia dell ‘Arte deshalb besonders gerne gespielt, „weil er eben nicht nur lustig war, sondern auch traurige Momente erlebte und sich in einem melancholischen Monolog fragte, ob man jemanden wie ihn eigentlich lieben könne.“ Und eben dieses Streben nach Liebe und Anerkennung sieht Bohn auch jenseits aller Kostümierung an den Tollen Tagen als das elementare Handlungsmotiv der menschlichen Existenz.

Dieser Text erschien am 1. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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