Am Anfang hofft man noch. Doch dann kommt immer mehr dazu und man muss in die Situation hineinwachsen, schildert Stadelhoff den emotionalen Prozess, der sich über einige Jahre hinzog und dazu führte, dass sie akzeptierte, dass ihr Kind, das sie vom ersten Tag an liebte, nicht so werden würde, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Uns hat damals sehr geholfen, dass wir auch einen nichtbehinderten Sohn hatten, so dass wir uns nicht nur auf die Behinderung von Mattias fokussiert haben. Das hat die Atmosphäre in unserer Familie entspannt, erinnert sich Stadelhoff.
Matthias und sein drei Jahre älterer Matthias wuchsen gemeinsam auf, konnten sich gegen die Eltern verbünden, wenn sie partout noch Fernsehen gucken und nicht ins Bett gehen wollten oder auch schon mal den elterlichen Tadel für unzureichende Tischmanieren über sich ergehen lassen mussten. Durch Stefan lernte Matthias auch nichtbehinderte Kinder kennen, zum Beispiel auf dem Fußballplatz, wenn auch nur als Zuschauer.
Ich habe das Talent, jede Lebenssituation so anzunehmen, wie sie ist und das beste daraus zu machen, sagt Stadelhoff über sich selbst. Mit dieser pragmatischen Lebensart sorgte sie auch 1990 zusammen mit Erwin Agelink, Petra Paffendorf und Hans Martin Schlebusch dafür, dass in der heilpädagogischen Kindertagesstätte am Priesters Hof die erste integrative Kindergartengruppe mit fünf behinderten und sieben nichtbehinderten Kindern eingerichtet werden konnte. Natürlich gab es damals auch Vorbehalte, dass nichtbehinderte Kinder in ihrer Entwicklung gehemmt werden könnten, wenn sie zusammen mit behinderten Kinder betreut würden, erinnert sich Stadelhoff.
Im Jahr 1992 las sie dann in der NRZ den Hinweis auf eine Mitgliederversammlung der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Sie ging einfach hin und fragte: Haben Sie eigentlich Freizeitangebote für Kinder? Haben wir nicht, lautete die Antwort. Aber jetzt hatte die Lebenshilfe Ulrike Stadelhoff, die mit Unterstützung des damaligen Geschäftsführers Hermann Pförtner erst einen Elternstammtisch und dann die ersten Freizeitgruppen für Kinder ins Leben rief. Bald kamen auch die ersten Ferienfreizeiten für Kinder mit geistiger Behinderung dazu. Bei den Urlaubsreisen mit der Lebenshilfe, hat Matthias gelernt, sich auch mal alleine durchzuschlagen, sagt seine Mutter in der Rückschau. Matthias fand nicht nur in den Sport- und Freizeitgruppen der Lebenshilfe neue Freunde. Auch Christoph, sein Alltagsassistent von der Lebenshilfe, mit dem er regelmäßig zum Schwimmen, zum Einkaufen oder in die integrative Disco ging, ist ihm bis heute als Freund erhalten geblieben.
Auch Ulrike Stadelhoff und ihre 2009 verstorbener Mann fanden in der Lebenshilfe Freunde mit vergleichbarem Elternschicksal, die einen durch die Jahre immer wieder begleitet und auch gestützt haben.
Doch die Lebenshilfe wurde für sie auch zur nebenberuflichen Lebensaufgabe, nachdem sie ab 1994 im Vorstand mitarbeitete und so unterschiedliche Projekte wie den Pflegedienst oder die Wohnstätte der Lebenshilfe am Springweg mit auf den Weg brachte. Ich bin nicht der Mensch, der nach Feierabend nur spazierengehen oder Kaffeetrinken kann, sagt die kaufmännische Angestellte, die die Lebenshilfe seit 2010 als ehrenamtliche Vorsitzende führt und das auch als ein Stück Lebenssinn begreift.
Mit Blick auf die Lebenshilfe-Angebote in den Bereichen Alltagsassistenz, Wohnen, ambulante Pflege, Freizeit und Sport staunt sie selbst immer wieder darüber, wie vielseitig und breit aufgestellt unser Verein ist. Ihr Sohn Matthias, der inzwischen in einer beschützenden Werkstatt der Theodor-Fliedner-Stiftung arbeitet, kommt im Moment nicht mehr in die Freizeit- und Sportgruppen der Lebenshilfe, wohnt dafür aber in einer von der Lebenshilfe betreuten Wohngemeinschaft in Styrum. Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Eltern sind heute selbstbewusster und können viel selbstverständlicher ausdrücken, was sie wollen und brauchen, weil Integration und Inklusion heute selbstverständlicher gelebt werden, beschreibt Stadelhoff die selbst erlebten und mitgestalteten Veränderungen der letzten Jahrzehnte.
Heute weiß sie: Ohne die Lebenshilfe würde uns ein wichtiges Stück unseres Lebens fehlen, aber sie weiß auch, dass der Weg zu völlig selbstverständlichen und flächendeckenden Integration und Inklusion noch weit ist, denn auch in unseren Gruppen sind eigentlich nur Menschen mit geistiger Behinderten. Integrative Freizeitgestaltung als Lebenshilfe für Menschen mit und ohne geistige Behinderung wäre für Ulrike Stadelhoff eine nicht nur für die Mülheimer Lebenshilfe erstrebenswerte Zukunftsvision.
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