Dienstag, 4. September 2012

Die Lehrerin Helga Frohn-Heinl leitet die internationale Förderklasse des Berufskollegs Stadtmitte: Sie musste zweimal anfangen, um einmal anzukommen


Zauberhaft fand Helga Frohn-Heinl als Volksschülerin am Sunderplatz den Unterricht bei ihrer netten Lehrerin. Vielleicht, so vermutet sie heute, war das der Anfang ihrer Idee, später zu studieren um selbst Lehrerin zu werden. „Ich wollte was mit Deutsch und Menschen machen“, erinnert sich die Pädagogin, die vor 30 Jahren ihre erste Unterrichtsstunde an einem Essener Gymnasium gab. Die konkreteste Erinnerung daran ist eine Ausgabe von Theodor Fontanes Gesellschaftsroman Effie Briest, in der es nur so vor unterstrichenen Zitatstellen und Randnotizen wimmelt.

Sie weiß noch, dass sie aufgeregt war und sich bis ins letzte Detail auf alle Eventualitäten vorbereiten wollte. Deshalb schrieb sie sich ein Stundenkonzept mit verschiedenen Hypothesen und Handlungsalternativen, um auf möglichst alle denkbaren Schülerantworten und Fragen gefasst zu sein und nur ja nicht aus dem Konzept zu kommen. So detailliert ihre damalige Vorarbeit war, so verschwommen ist ihre heutige Erinnerung daran.

War es eine 9. oder eine 10. Klasse, die sie mit Fontane und Effie Briest vertraut machen musste? Sie weiß nur noch, dass ein Schüler plötzlich sagte: „Mein Gott, ist das theatralisch“ und das sie darüber lachen musste. „Erst später habe ich begriffen, dass ich solch einen doppelten Boden, den ich mir damals gelegt hatte gar nicht brauche und das es vor allem darauf ankommt, den Schülern konkrete Arbeitsaufträge zu geben, damit sie sich ihre Lernergebnisse selbstständig erarbeiten können,“ beschreibt sie eine der wichtigsten Erkenntnisse ihres Lehrerinnenlebens.

Den Zauber und die Herausforderung des neu Anfangens suchte und fand Frohn-Heinl dann vor zehn Jahren, als sie nach einer Fortbildung im Fach Deutsch als Zweitsprache zum ersten Mal am Berufskolleg Stadtmitte eine internationale Förderklasse unterrichtete.

„Ich hatte den Auftrag, diesen neuen Bildungsgang aufzubauen, verbunden mit der Zusage einer größtmöglichen Handlungsfreiheit und Unterstützung durch die Schulleitung. Dieser Anfang hat mich damals sehr gereizt“, erinnert sich Frohn-Heinl.

Vor ihrer ersten Unterrichtsstunde am Berufskolleg Stadtmitte, machte sie sich erst mal bei einer Kollegin aus Köln schlau, wo es damals bereits eine vergleichbare Förderklasse für junge Zuwanderer zwischen 16 und 25 Jahren gab.

Ihre erste Stunde in der internationalen Förderklasse begann mit einer faustdicken Überraschung. Die Pädagogin hatte sich auf demotivierte und lernunwillige Schüler eingestellt. „Augen zu und durch“, hatte ihr ein Kollege geraten. „Doch dann machte ich die Augen ganz weit auf und staunte darüber, dass da hochmotivierte Schüler saßen, die alle voller Tatendrang waren und Spaß daran hatten, Deutsch zu lernen,“ erzählt Frohn-Heinl von ihrer ersten Unterrichtsstunde am Berufskolleg Stadtmitte.

Einige ihrer Schüler, von denen die meisten zunächst nur „Hallo“ und „Deutschland“ sagen konnten, hatten sogar schon ein Wörterbuch mitgebracht, ehe ihrer Lehrerin ihnen gestenreich erklären konnte, was sie sich für den Unterricht besorgen müssten. Noch heute staunt die Lehrerin, „dass meine Schüler alles aufsaugen, wie ein Schwamm.“ Doch ihre erste Unterrichtsstunde in der Internationalen Förderklasse, die aufgrund ihres Erfolges ab diesem Schuljahr eine Parallelklasse bekommt, endete auch mit einem Schock. Denn Frohn-Heinl begriff damals nach den ersten Sprachübungen, a´la „Ich, Du, Er, Sie, Es und Der, Die, Das“, dass es in ihrer internationalen Förderklasse nicht nur um Deutsch als Zweitsprache, sondern um den Aufbau sozialer Netzwerke ging, die auch jenseits der Schule den jungen Zuwanderern helfen konnten, „sich beruflich und privat in unserer Gesellschaft zu integrieren und in Deutschland anzukommen.“ Heute weiß, die Lehrerin, die ihren Neuanfang in der Internationalen Förderklasse des Berufskollegs nie bereut hat, „dass meine Schüler auch deshalb so motiviert lernen, weil sie oft unfreiwillig und unter schweren Opfern ihre alte Heimat aufgegeben haben und nicht erleben wollen, dass dies vergebens gewesen sein könnte.“

Dieser Beitrag erschien am 27. August 2012 in der NRZ

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