Freitag, 31. August 2012

Die Hauptschule an der Bruchstraße wird zur Handwerker- und Praxisschule: Ein Beispiel, das Schule machen könnte

Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben. Der Spruch ist alt. Das Konzept an der Hauptschule Bruchstraße ist neu. „Ihr seid jetzt hier an einer Praxisschule“, begrüßt Schulleiterin Gabriele Klar 26 neue Fünftklässler und ihren Familienanhang, der zur Feier des Tages mitgekommen ist.


Bevor Klar und ihre Kollegen mit den neuen und alten Schülern in die Zukunft der Praxisschule schauen, in der die Berufsförderung mit einem wöchentlichen Werktag jetzt schon in der fünften Klasse beginnt, gönnt sich die Rektorin einen motivierenden Rückblick. „Ihr habt sicher davon gehört, dass diese Schule geschlossen werden sollte und dass wir gemeinsam einen Bürgerentscheid gewonnen haben, durch den die Schule jetzt erhalten bleibt. Das zeigt, dass man viel erreichen kann, wenn man wirklich etwas will und gemeinsam an einem Strang zieht. Und das wollen wir hier auch in Zukunft so machen“, betont Klar.

Da betritt Clownsfrau Friederike, alias Theaterpädagogin Claudia Butta, die Szene. Sie spielt die Spielverderberin. „Schule ist doch bestimmt doof. Und die Lehrer sind total streng. Ich war auf jeden Fall noch auf keiner Schule“, meint sie und hat gleich die Lacher auf ihrer Seite. Das Lachen vergeht ihr aber, als ihr die Klassenlehrerin der neuen Fünfer, Regina Demsa, einen Brief von ihrer Tante Amalie überreicht. „Ich kann ja gar nicht lesen, weil ich ja noch nie auf einer Schule war.“ Eine Schülerin hilft ihr aus und liest vor, dass Tante Amalie jetzt in Holland wohnt und Friederike dorthin einladen möchte, um sie mit ihrem Lieblingsgericht Reibekuchen zu verwöhnen. „Aber wo liegt Holland und wie kann man Reibekuchen backen?“ fragt sich Friederike kleinlaut. „Das und noch viel mehr kannst du bei uns lernen“, lassen sie Klar und Damsa wissen.

Und dann schalten sich der Obermeister der Kreishandwerkerschaft Jörg Bischoff und Adelheid Zwilling von der Arbeiterwohlfahrt als Kooperationspartner für den praxis- und berufsorientierten Ganztagsschulbetrieb in die Gesprächsrunde ein. „Du musst hier nicht nur in die Bücher schauen, sondern kannst auch mit Freude lernen“, beruhigt Zwilling die Schulskeptikerin und zählt einige Dinge auf , die man von 8 bis 16 Uhr in den Unterrichtsstunden und Arbeitsgemeinschaften an der Bruchstraße erlernen und erleben kann: Kochen, Tanzen, Chemie und Computerarbeit, Schwimmen, Spiel, Sport und vieles mehr. Besonders gefällt Friederike, dass sie ihre Hausaufgaben nicht zu Hause, sondern gleich in der Schule machen kann.

Und nachdem Kreishandwerksmeister Bischoff ihr erzählt, dass sie beim wöchentlichen Praxistag mit Hauswirtschaft, Technik, Betriebserkundungen und Berufswandertagen zum Beispiel entdecken oder ausprobieren kann, wie man Brot backt oder mit einer Bohrmaschine umgeht, wie eine Heizung oder ein Lkw repariert wird, wie man Haare schön frisiert, Fliesen in einem Badezimmer verlegt oder aus Holz ein Hochbett baut, ist Friederikes Neugierde geweckt und sie entschließt sich, auf ihre alten Tage doch noch zur Schule zu gehen.

„Das ist eigentlich das Entscheidende, dass wir die Neugierde der Kinder nutzen und ihnen frühzeitig die Gelegenheit verschaffen, in verschiedene Betriebe und Bereiche der Berufspraxis hineinzuschnuppern“, sagt Jürgen Parussel, der als Lehrer seit Jahren die Berufsorientierung an der Bruchstraße betreut. Mit Blick auf den wöchentlichen Werk- und Praxistag, der sich nicht nur auf handwerkliche, sondern auch auf technische, soziale, pflegerische und kaufmännische Berufsfelder erstrecken soll, sieht Parussel drei Phasen: Das Schnuppern und Erkunden in den Klassen 5 und 6, das Experimentieren in den Klassen 7 und 8 sowie das Verfestigen der konkreten Berufsvorbereitung in den Klassen 9 und 10.

Für Awo-Geschäftsführerin Zwilling ist die Praxis- und Handwerksschule an der Bruchstraße ein guter Weg, „um Talente frühzeitig zu entdecken und zu fördern. Mit dem Fleischermeister Bischoff ist sich Zwilling einig, „Kinder lernen besser, wenn sie wissen, wofür sie lernen und wie sie ihr Wissen konkret anwenden können.“

Obwohl die Hauptschule an der Bruchstraße schon heute rund 50 Prozent ihrer Absolventen in einer berufliche Ausbildung vermitteln kann, ist Kreishandwerksmeister Bischoff mit Blick auf die 1000 Mitgliedsbetriebe der Kreishandwerkerschaft, die jährlich 600 neue Lehrlinge einstellen, davon überzeugt, „dass wir uns künftig gar nicht mehr über Vermittlungsquoten unterhalten müssen, wenn wir die Chance haben, an dieser Schule Jugendliche über fünf Jahre kennenzulernen und auf die richtige Spur zu setzen.“ Dafür, so verspricht er, „werden wir uns als Handwerksbetriebe auch mit unseren überörtlichen Ausbildungseinrichtungen zu 100 Prozent einbringen.“

Dieser Beitrag erschien am 24. August 2012 in der NRZ

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