Donnerstag, 30. August 2012

Der ehemalige Behindertensportler Lars Lürig über die Bedeutung, die die Paralympics nicht nur für ihn persönlich haben

Die olympischen Spiele in London sind vorbei. Doch morgen beginnen dort die Paralympics der Spitzensportler mit Behinderung. Über ihre Bedeutung sprach die NRZ mit dem Mülheimer Behindertensportler Lars Lürig, der als Schwimmer bei den Paralympics 1996 eine Goldmedaille gewonnen hat.


Was bedeutet Ihnen Ihr Paralympicsieg in Atlanta heute?

Er bedeutet mir auch heute noch sehr viel, weil es mein größter sportlicher Erfolg war. Ich war zwar auch Weltmeister. Aber Paralympic-Sieger bleibt man sein Leben lang. Der Paralympic-Sieg hat aber mein Leben nicht nachhaltig verändert, weil ich ja immer Amateursportler geblieben bin. Aber er war ein wichtiges Kapitel in meinem Leben, auf das ich auch heute noch oft angesprochen werde.

Was haben Sie durch den Schwimmsport fürs Leben gelernt?

Ich habe durch den Schwimmsport viele Freundschaften geschlossen, die bis heute andauern. Und ich habe gelernt, dass man sich im Leben Dinge hart erarbeiten und Ziele langfristig verfolgen muss. Ich hatte nach meinem Paralympic-Sieg das gute Gefühl, dass man sich durch hartes Training Dinge auch verdienen kann.

Wie fühlt sich das an, auf dem Siegertreppchen zu stehen?

Ganz großartig. Ich kann mich heute noch an diesen Tag erinnern. der alle anderen Erfolge überstrahlt. Es war sehr bewegend auf dem Siegertreppchen zu stehen und die Nationalhymne zu hören. Ich erinnere mich an Interviews, die ich geben musste und an Mannschaftskameraden, die mir um den Hals fielen, aber auch an einen großen Empfang nach meiner Rückkehr am Flughafen. Das war der Höhepunkt und ich bin auch nie wieder schneller geschwommen als in Atlanta.

Warum sind die Paralympics bei weitem nicht so populär wie die Olympischen Spiele?

Die Paralympics haben in den letzten Jahrzehnten durchaus eine positive Entwicklung genommen. Ich glaube, dass viele Menschen heute den Paralympic-Sieg achten. Es ist aber schwer, dem Publikum verständlich zu machen, dass es im Behindertensport verschiedene Startklassen gibt und deshalb, anders als bei Olympia, in einer Disziplin es nicht nur einen Sieger gibt. Vielleicht kann man in Zukunft verschiedene Behinderungsarten mit Hilfe von Umrechnungsfaktoren in Form eines Bonus-Malus-Systems miteinander vergleichen und so nur noch je einen Paralympicsieger küren. Das würde für mehr Übersicht sorgen. Aber der Kartenvorverkauf für die Paralympics in London läuft gut und es zeigt sich, dass viele auch als Zuschauer dabei sein möchten.

Was hat sich seit Ihrer aktiven Zeit bei den Paralympics verändert?

Als ich 1992 in Barcelona zum ersten Mal dabei war, gab es von den Paralympics nur eine zusammenfassende Fernsehsendung. Das ist heute doch unvorstellbar. Da wird inzwischen mindestens einmal täglich von den Paralympics berichtet. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat zugenommen. Und die Sportler bereiten sich heute auch noch ernsthafter auf die Spiele vor. Als ich 1992 startete, war ich einer von zwei Schwimmern im Nationalteam, der zweimal täglich mit nichtbehinderten Sportlern trainierte. Heute ist das für die Paralympicteilnehmer die Regel.

Haben es behinderte Spitzensportler heute einfacher, auch Sponsoren zu finden?

Es gibt mit Sicherheit heute einige Ausnahme-Behindertensportler, die das besser schaffen, als das früher der Fall war, weil sie das Gesicht und den Sport dazu haben, um sich zu vermarkten. Aber man muss die Kirche auch im Dorf lassen. Auch bei den nichtbehinderten Olympiateilnehmern gibt es Sportler, wie etwa die modernen Fünfkämpfer, die nur wenig Möglichkeiten haben, Sponsoren zu finden, weil sie nur alle vier Jahre in der Öffentlichkeit erscheinen.

Sind gemeinsame Olympische Spiele für behinderte und nichtbehinderte Sportler im Sinne von Inklusion denkbar?

Ich fände es toll, wenn man eine gemeinsame Veranstaltung mit fließenden Übergängen zwischen Wettkämpfen mit behinderten und nichtbehinderten Sportlern schaffen könnte. Wobei ich glaube, dass ein 100- oder 1000-Meter-Rennen bei den nichtbehinderten Leichtathleten immer mehr Aufmerksamkeit bekommen würde als ein parallel laufendes Rollstuhlrennen. Der Fall eines sehbehinderten Bogenschützens aus Südkorea und das Beispiel des beinamputierten Prothesensprinters Oscar Pistorius aus Südafrika zeigen, dass man behinderte Sportler auch bei Olympischen Spielern integrieren kann. Obwohl man einen Weltrekord bei Pistorius nie akzeptieren würde, weil es dann hieße: Der hat ein technisches Hilfsmittel. Das ist unfair.

Zur Person

Lars Lürig wurde 1975 mit einer Dysmelie in Mülheim geboren . Das bedeutet: Seine Gliedmaßen sind nur zum Teil ausgebildet. Er wuchs in Broich auf, wo er auch das Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur studierte er in Münster Englisch und Sozialwissenschaften und unterichtet seit 2006 an einem Gymnasium in Telgte. Als Schwimmer war er im Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (VBGS), im TSV Viktoria und beim TV Einigkeit aktiv. Er startete bei den Paralympics in Barcelona (1992), Atlanta (1996) und Sydney (2000). 1994 wurde er in La Valetta über 200 Meter Freistil Weltmeister und gewann über diese Distanz 1996 in Atlanta auch die paralympische Gildmedaille. Über 50 und 100 Meter Freistil errang er in Atlanta die Silber-Medaille. Zwei Jahre später gewann er bei den Weltmeisterschaften in Christchurch über 50, 100 und 200 Meter Freistil sowie in der 4x50-Meter-Lagen-Staffel die Goldmedaille. Im Jahr 2000 beendete er seine sportliche Laufbahn bei den Paralympics in Sydney mit einer Bronze-Medaille über 200 Meter Freistil. Für seine außerordentlichen Leistungen wurde er auf Stadt- und Landesebene 1996 zum Behindertensportler des Jahres gekürt und mit dem Silbernen Lorbeerblatt des Bundes ausgezeichnet.  

Dieser Beitrag erschien am 28. August 2011 in der NEUEN RUHR ZEITUNG

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