Nicht nur in Europa machen die Staatsschulden Schlagzeilen und werfen die Frage auf: Was können wir uns künftig noch leisten?Auch Mülheim, das, wie berichtet keine Mittel aus dem Stärkungspakt II des Landes bekommt, hat seinen Schuldenberg und damit Strukturfragen vor der Brust, die nach Antworten verlangen. Vor diesem Hintergrund fragte ich im Auftrag der NRZ Stadtkämmerer Uwe Bonan, wohin die finanzpolitische Reise geht.
Die Landtagsmehrheit aus SPD, Grünen und FDP will den Kreditspielraum der Städte erweitern, indem die Städte künftig für jeweils zwei Jahre zehn statt bisher nur fünf Prozent ihrer Rücklagen als Kreditsicherheit nutzen und so verbrauchen können. Was halten sie davon?
Bonan: Ich muss mich mit diesem Vorschlag noch eingehender beschäftigen. Aber meine erste Einschätzung, ist die, dass eine solche Regelung für die Stadt nicht relevant ist. Das ist hilfreich für die Kommunen, die jetzt noch kein Haushaltssicherungskonzept erstellen müssen. Wenn ich den Vorschlag richtig interpretiere, würde künftig erst dann ein Haushaltssicherungskonzept nötig, wenn man zehn Prozent seiner Rücklagen in Anspruch nehmen würde. Für mich wäre das keine Hilfe, sondern nur das Hinauszögern eines notwendigen Haushaltssicherungskonzepts. Unser strukturelles Defizit ist einfach zu hoch, um diese Formel überhaupt anzuwenden.
Wohin geht die Reise bei der aktuellen Haushaltsplanung, wenn Mülheim seine Schulden von etwa einer Milliarde Euro und sein Haushaltsdefizit abbauen will?
Bonan: Für die weiteren Planungen ist es unabdingbar, weiterhin konsequent Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Das bedeutet, einen Sparkurs zu verfolgen, der so stringent wie irgend möglich sein muss, ohne jedoch die Handlungsfähigkeit gänzlich lahm zu legen und die Stadt kaputt zu sparen. Die Verwaltung wird die Politik dabei nach Kräften unterstützen und entsprechende Vorschläge machen. Wirksame Sparmaßnahmen werden mit Sicherheit zu weiteren Einschnitten in allen Bereichen führen.
Ist ein 100-prozentiger Schuldenabbau überhaupt realistisch?
Bonan: Alle Bemühungen werden aus heutiger Sicht nicht zu einem Schuldenabbau führen können, sondern es kann maximal eine Verlangsamung des Anwachsens weiterer Schulden bewirkt werden. Es ist für den weiteren Konsolidierungsprozess unabdingbar, dass auch Mülheim Finanzhilfen aus dem Stärkungspakt erhält. Zwingend erforderlich ist auch, dass der Bund sich stärker an den stetig wachsenden Sozialausgaben beteiligen muss. Dies bezieht sich besonders auf die Hilfe zur Pflege, die Eingliederungshilfe und die Kosten der Unterkunft sowie die Hilfe zur Erziehung. Nur ein Drei-Klang von Bund, Land und Kommune kann unsere Finanzlage wieder ins Gleichgewicht bringen.
Wie stellen sich denn die Eckdaten für den kommenden Haushalt mit Blick auf Steuereinnahmen und Defizit dar?
Bonan: Wir befinden uns mitten im Haushaltsaufstellungsprozess für 2013. Zur Frage nach den Eckdaten kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage getroffen werden. Die Einbringung des Haushaltsplanentwurfes 2013 und folgende in den Rat erfolgt am 4. Oktober.
Sind Sie vor dem Hintergrund früherer Haushaltskonsolidierungsvorschläge zuversichtlich, dass diese im Rat am Ende auch eine Mehrheit finden oder fürchten Sie, dass diese konterkariert werden?
Bonan: Ich gehe davon aus, dass der Rat seine Budgethoheit wahrnehmen wird, indem er die Vorschläge sorgfältig prüft, kritisch bewertet und/oder modifiziert. Im Interesse aller Beteiligten sollten am Ende des Prozesses mehrheitsfähige Vorschläge auf dem Tisch liegen, damit letztendlich ein Beschluss zum Etat und zum Haushaltssicherungskonzept gefasst werden kann. Es geht um die Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit der Stadt!
Könnte ein Verkauf der städtischen RWE-Aktien sinnvoll sein? Oder wäre das kontraproduktiv?
Bonan: Die aus dem Aktienbesitz erzielten Erträge dienen teilweise der Finanzierung des ÖPNV-Verlustes. Der Verkauf des städtischen Anteils am RWE-Aktienbestand – also der Verkauf von „Tafelsilber“ – befindet sich ständig auf dem Prüfstand. Dabei werden unter anderem die Kursentwicklung und die Höhe der Dividende sowie die Zinsentwicklung stetig betrachtet. Derzeit wäre ein Verkauf unwirtschaftlich.
Wer gibt der Stadt noch Kredit?
Bonan: Mülheim hat sich auf dem Kreditmarkt breit aufgestellt. Insgesamt bestehen derzeit Kreditverträge mit über 20 Bank- und Kreditinstituten. Probleme bei der Kreditbeschaffung hat es bisher nicht gegeben. Die Zinsen für Kommunalkredite sind nach wie vor auf einem historischen Tiefstand.
Was bedeutet es auch finanzpolitisch für die Infrastruktur der Stadt, wenn die Einwohnerzahl sinkt?
Bonan: Auf die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung muss finanzpolitisch reagiert werden. Allerdings wird die kommunale Infrastruktur auch von weiteren Faktoren wesentlich beeinflusst. Hierzu gehört insbesondere der Ausbau der U-3-Betreuung und der Ganztagsangebote an Schulen, die Inklusion und vieles mehr. Es gilt, die politischen Rahmenbedingungen für finanzierbare Angebote für alle unterschiedlichen Familienformen und individuelle Lebenslagen zu schaffen. Der Bildungsentwicklungsplan zeigt beispielsweise, dass es sich hierbei um besondere Herausforderungen handelt. Die wachsenden Sozialausgaben aufgrund des stetig steigenden Anteils der älteren Bevölkerung werden die Haushalte zunehmend massiv belasten. Obwohl der Bund zugesagt hat, bis zum Jahre 2014 schrittweise die Kosten für die Grundsicherung zu übernehmen, bleibt der große Block der Sozialausgaben eine gravierende Belastung für die Städte. Das wirkt sich auch auf die Infrastrukturmaßnahmen aus. So hat die Städtebauförderung eine enorme Bedeutung für die Bewältigung des demografischen Wandels. Der Bund ist aufgefordert, das Volumen der Mittel zur Städtebauförderung den sich ändernden Erfordernissen anzupassen. Alle Investitionsplanungen und -entscheidungen auf kommunaler Ebene müssen den Bevölkerungsrückgang und die Altersstruktur berücksichtigen. Knappe Ressourcen für Investitionen stellen dabei alle Beteiligten vor schwierige Aufgaben.
Bleibt beim notwendigen Sparen auch noch Luft für notwendige Investitionen?
Bonan: Ja. Ein Blick auf die Schullandschaft, Kindertagesstätten und Straßen macht dies sehr anschaulich. Im Rahmen des Nothaushaltsrechts, dem die Stadt zurzeit unterliegt, gilt es, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu beachten, etwa die Kreditlinie für in der Regel pflichtige Investitionen und Verwendung von Verkaufserlösen zur Schuldentilgung.
Könnte die Stadt in eine Situation geraten, in der sie noch nicht einmal ihre Pflichtaufgaben (etwa die Zahlung von Verwaltungsgehältern und sozialen Transferleistungen) gewährleisten könnte?
Bonan: Durch die gesetzlich ausgeschlossene Insolvenzfähigkeit öffentlicher Gebietskörperschaften und dem gesamtstaatlichen Haftungsverbund aus Bund, Ländern und Kommunen tritt ein derartiges Szenario nicht ein.
Dieser Beitrag erschien am 18. August 2012 in der NRZ
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