Es war ein schmerzlicher Anfang, den Alfred Beyer im November 1971 machen musste. Damals musste sich der selbstständige Innenraumausstatter daran gewöhnen, fortan mit einem Bein und einer Prothese durchs Leben zu gehen.
„Da bricht innerlich alles zusammen“, erinnert sich Beyer an das Gefühl, das ihn überfiel, als er die Diagnose Knochenkrebs bekam und der Arzt im Krankenhaus ihm erklärte, dass sein linkes Bein oberhalb des Knies amputiert werden müsse, um sein Leben zu retten. Angefangen hatte alles mit einem Knoten in der Kniekehle, den sein Hausarzt anfangs nicht sonderlich ernst genommen hatte.
Damals war der 29-jährige Familienvater gerade dabei, sein neues Geschäft am Dickswall einzurichten. Anfang November, an das genau e Datum seiner Amputation kann sich Beyer heute gar nicht mehr erinnern, war es so weit. „Als ich nach der Operation aufwachte, dachte ich erst: Die haben dich ja gar nicht amputiert. Du spürst ja gar nichts“, erinnert sich Beyer an das erste Gefühl nach der Amputation. Auch seinen linken Oberschenkel, der damals verbunden und mit Draht und Gewichten stabilisiert wurde, konnte er anfangs als solchen noch nicht wahrnehmen.
Erst als er wenige Tage später seine ersten Gehversuche an Krücken und mit einer provisorischen Prothese machen musste, merkte er, dass sich etwas verändert hatte.
„Das ging mir alles nicht schnell genug. Und dann lag ich erst ein paar mal auf der Schnauze“, erzählt Beyer. Vor allem an den Krücken, die er als sehr glatt empfand, hatte er anfangs gar keinen Halt. Auch sein Kreislauf, der sich erst daran gewöhnen musste, dass da unten jetzt nur noch ein Bein aus Fleisch und Blut war, machte das Stehen und Gehen nach der Amputation nicht leichter.
Unvergessen bleibt Beyer sein erster Ausflug in den Krankenhauspark. Er musste sich erst mal daran gewöhnen, sein Holzbein ungelenk nach vorne zu schwingen oder nachzuziehen, um überhaupt voranzukommen. „Erst ging ich auf einem geraden Weg und dann leicht abwärts. Aber als ich dann zurückgehen wollte und eine kleine Anhöhe nehmen musste, ging gar nichts mehr. Ich setzte mich auf eine Bank und musste so lange warten, bis mich eine Krankenschwester im Rollstuhl zurückbrachte“, schildert er das Ende seines ersten Spaziergangs als Beinamputierter.
16 Tage nach der Amputation verließ Beyer das Krankenhaus und kehrte in sein Geschäft zurück. „Das ging mir ganz schön auf den Senkel“, erzählt Beyer von seinen ersten Arbeitstagen, als er feststellte, dass er mit Prothese und Krücken nicht nur langsamer durchs Leben ging, sondern sich auch immer wieder Unterlagen hinterhertragen lassen musste, weil er bei der einseitigen Belastung die Balance verlor, ehe er lernte sich mit einer Unhängetasche zu behelfen
„Anfangs bin ich auch öfter aus dem Auto gefallen, weil ich beim Aussteigen immer mit dem linken Bein auftreten wollte, das gar nicht mehr da war“, schildert Beyer seine Übergangserfahrungen. Auch Kopfsteinpflaster und Bordsteine oder das Hinknien beim Teppichverlegen, was er vorher nie wahrgenommen hatte, wurden für sein Holzbein zur echten Hürde.
„Darüber, dass ich ein Bein verloren hatte, war ich eigentlich relativ schnell hinweg. Nur die Angst vor dem Krebs blieb“, sagt Beyer rückblickend.“
Ein Jahr nach seiner Amputation wurde er im Kaufhof von einem Mitglied der damaligen Versehrtensportgemeinschaft angesprochen und zu einer Sportstunde eingeladen. Damals konnte der heutige Vorsitzende des Vereins für Bewegungssport und Gesundheitsförderung, der auch die Arbeitsgemeinschaft der Behindertenverbände führt, noch nicht ahnen, dass dies der Beginn eines neuen Lebensabschnittes sein sollte, in dem der Sport und der Einsatz für Menschen mit Behinderung zu seiner neuen Berufung werden sollte.
„Der Sport und dieses Engagement haben mich selbstbewusst gemacht und auch dazu geführt, dass ich heute über meine Behinderung sogar lachen kann“, sagt Beyer, der am 22. August 70 Jahre alt geworden ist und inzwischen nicht mehr mit einem Holzbein, sondern mit einer wesentlich beweglicheren Titanprothese durchs Leben geht und sich dabei flotter und fitter als mancher Zweibeiner vorkommt.
Dieser Beitrag erschien am 1. September in der NRZ
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