Donnerstag, 21. April 2022

Vorsicht! Vorurteile!

 Mülheim wir bunter und älter. In unserer Stadt leben Menschen aus mehr 140 Nationen. Das zeigt: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Heute ist schon jeder dritte Mülheimer über 60. Zuwanderung ist für unsere alternde Stadtgesellschaft also kein Problem, sondern ein Gewinn. Das gilt zumindest dann, wenn sich Zuwanderer bewusst integrieren, die deutsche Sprache lernen und eine Ausbildung und eine Berufstätigkeit anstreben, die sie unabhängig von staatlichen Transferleistungen macht.

 

Genau das hat ein 43-jähriger Familienvater, der seinen Namen aus gutem Grund nicht in der Zeitung lesen möchte, geschafft. Vor 20 Jahren kam er als Kriegsflüchtling aus einem afrikanischen Land. Sein Asylanspruch ist anerkannt, aber seine Lebensleistung ist es nicht. Das gilt zumindest für viele Menschen, denen er beruflich und privat in Mülheim begegnet. Er berichtet: „Ich lebe gerne in Mülheim. Ich fühle mich als Bürger dieser Stadt und ich verdiene als ausgebildeter Handwerker im öffentlichen Dienst meinen Lebensunterhalt. Ich habe die deutsche Sprache gelernt und bin mit einer deutschen Frau verheiratet, Außerdem engagiere ich mich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe und habe einen großen Freundeskreis. Ich bin höflich und hilfsbereit und halte mich an die Regeln. Und trotzdem zeigen viele, auch gebildete Menschen, mit dem Finger auf mich und sagen mir: ‚Du gehörst nicht hier her. Du gehörst nicht zu uns. Du bist ein Neger. Von dir lassen wir uns nicht helfen. Mein Alltag ist voll solcher Beleidigungen. Das tut weh. Ich habe auch ein Herz, wie jeder andere Mensch. Aber ich bin schwarz und ich kann meine Hautfarbe nicht ändern.“


Kleine Nadelstiche

Der Mann aus Mülheim, dessen Wiege auf dem afrikanischen Kontinent stand, erzählt von vielen kleinen Nadelstichen, die ihn haben traurig und dünnhäutig werden lassen. Da sind immer wieder Kollegen, die ihn rassistisch beleidigen. Wenn er sich über ihre verbalen Aggressionen bei seinen Vorgesetzten beschwert, kommt er zu keinem Ergebnis. Auch die netten Kollegen, die ihm immer wieder Mut machen, sind scheinbar machtlos gegen solchen Alltagsdiskriminierungen, zu denen auch die Fragen, wie: „Haben Sie das gelernt?“ oder: „Haben Sie wirklich mit uns einen Termin gemacht.“ Auch wenn er mit seiner deutschen Frau unterwegs ist. Und Fremde nur seine Frau ansprechen und ihn ignorieren oder ihn nur auf Englisch ansprechen, weil sie ihm die deutsche Sprache nicht zutrauen, hebt das sein Selbstwertgefühl ebenso wenig, wie die Kassiererin, die seine Banknote fünfmal durch den Falschgeldscanner schickt, während der offensichtlich weiße und bio-deutsche Kunde vor oder hinter ihm anstandslos und unkontrolliert sein Wechselgeld zurückbekommt. Auch wenn er manchmal über solche Alltagsanekdoten lachen kann, ist es ihm doch eher zum Weinen zumute, wenn er in einer Bäckerei zum Beispiel frisches Brot aus der Theke haben möchte und die Verkäuferin ihn darauf hinweist: „Wir haben dahinten auch noch billiges Brot vom Vortag.“ 


Anspruch und Wirklichkeit

Und auch, wenn er Bus, Bahn oder Zug merkt, dass sich niemand neben ihn setzen möchte, obwohl der Wagen brechend voll ist und alle sich die Beine in den Bauch stehen, fällt ihm alles ein, nur nicht der Artikel 1 unseres Grundgesetzes, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und auch die Zusage des Grundgesetz-Artikel 3, in dem es heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“, ändert nichts an seiner alltäglichen Rassismus-Erfahrung in unser leider nicht immer sympathischen Stadt Mülheim an der Ruhr.

Die aus dem Senegal stammende Mülheimerin Gilberte Raymonde Driesen kennt solche Diskriminierungserfahrungen aus ihrem Alltag. Die Mitarbeiterin des Centrums für bürgerschaftliches Engagement, die sich ehrenamtlich als Vorsitzende des Bildungsvereins Axatin engagiert, berät ihn und viele seiner Leidensgenossen, die vergleichbaren Rassismus in ihrem Alltag erleben. Sie sieht angesichts solch erschütternder Alltagserfahrungen, mit denen sie regelmäßig konfrontiert wird, die Notwendigkeit einer kommunalen Antidiskriminierungsstelle, mit deren Hilfe die Akzeptanz der faktischen Diversität  professionalisiert und institutionalisiert werden kann. Dabei sieht Driesen die gesellschaftliche Akzeptanz der Diversität als eine Gemeinschaftsaufgabe, der sich Zuwanderer und Bio-Deutsche geleichermaßen, stellen müssen. durch die Vermittlung von interkultureller Kompetenz nicht als Einbahnstraße, sondern als einen Zweirichtungsverkehr, in dem sich Einheimische und Zuwanderer aufeinander zubewegen und sich als das sehen und akzeptieren müssen, was sie nicht nur nach dem Grundgesetz sind, gleichwertige und gleichberechtigte Menschen.


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