Mittwoch, 2. Februar 2022

Poesie und Prosa

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt kann sich für unser Parlament einen Parlamentspoeten vorstellen, der einen neuen Diskussionsraum zwischen Sprache und Politik öffnen könne. Als Theologin und Politikerin weiß Göring Eckhardt, dass Glauben und Politik auch von der Poesie ihrer Sprache leben. Braucht der Stadtrat vielleicht auch so etwas, damit das schon seit Jahren arg gebeutelte Mülheim ein neues Kapitel aufschlagen und vielleicht doch noch von einer Tragik-Komödie in einer Erfolgsgeschichte mit Happyend umgeschrieben werden kann? Doch dem Kämmerer, der lieber schwarze als rote Zahlen schreibt und liest,  würde wohl die Tinte in seinem Rotstift gefrieren, wenn er nach einer entsprechenden Planstelle gefragt würde. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und meint: Wir hätten schon genug Märchenerzähler im Rathaus, die jeweils an ihrer ganz eigenen politischen Erzählung schrieben. Aber was hilft uns das Lesen der Leviten oder die Beschreibung von Horrorszenarien? Am Ende kann uns auch die schönste Politik- und Parlamentspoesie nicht vor der Prosa unseres Alltags retten, in der wir, jeder für sich und wir für uns alle, jeden Tag eine neue Seite aufschlagen und sie sinnvoll füllen müssen, und das nicht nur in der Zeitung. 


 NRZ, 31.01.2022

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