Die Katholische Kirche ist nicht nur in einer Krise. Sie steckt, zumindest mit Blick auf Deutschland, in einer Existenzkrise. Allein in meiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1000 Menschen die Katholische Kirche verlassen. Damit hat die Stadtkirche in den vergangenen 30 Jahren etwa 25.000 Mitglieder verloren und nähert sich damit der 40.000-Mitglieder-Grenze.
Auch wenn die Missbrauchsfälle innerhalb der Evangelischen Kirche nicht vergleichbar ist, verzeichnet auch sie nur minimal geringere Austrittszahlen und dokumentiert damit, ebenso wie ihre katholische Schwesterkirche den demografischen und gesellschaftlichen Wandel. Die Interviews, die ich mit Blick auf die neuesten Münchener Erkenntnisse rund um priesterliche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche geführt habe, offenbaren eine tiefgreifende Erschütterung der katholischen Kirchenbasis und einen ungeahnten Reformdruck und Reformwillen. Dabei fällt auf, dass die fundiert reformorientierten Aussagen des Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck und seines Generalvikars Klaus Pfeffer ausdrücklich gelobt und als Gegenbeispiele zu Äußerungen anderer Bischöfe genannt werden,
Der Reformwille betrifft sowohl kirchliche Amtsträger, wie den Mülheimer Stadtdechanten Michael Janßen, als auch engagierte Gemeindemitglieder, die von ihrer tiefen Erschütterung und Beschämung, aber auch von der Wut auf die eigene Kirche sprechen. Was die Basis besonders hart trifft, ist die Tatsache, dass die Katholische Kirche, die bisher immer durch eine rigide Sexualmoral in Erscheinung getreten ist mit der gelebten Unmoral einiger Priester ihren eigenen und oft verkündeten moralischen Ansprüchen nicht gerecht wird.
Der Widerspruch zwischen der Frohen Botschaft des Christentums und der in Teilen kriminellen und menschenverachtenden Kirchenpraxis ist für viele katholische Christen zu groß geworden, als dass sie in der Kirche bleiben könnten. Sie sprechen vom Seelenmord an den Missbrauchsopfern und von der fortgesetzten Unfähigkeit der Amtskirche zu einer angemessenen Hilfe für die Opfer des priesterlichen Missbrauchs zu kommen. Neben dem eigentlichen Missbrauchsskandal beschämt die Katholiken von der Basis die Reaktion ihrer Amtskirche auf die erwiesenen Vergehen gegen die Menschlichkeit. Frühere Kirchenskandale, wie etwa die Geldverschwendung des ehemaligen Limburger Bischofs Tebartz van Elst, die Zweckentfremdung des Peterspfennigs für Immobiliengeschäfte oder das ungeklärte Schicksal der Kinder, deren sterbliche Überreste auf dem Grundstück einer ehemaligen kanadischen Klosterschule gefunden worden sind.
Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger), der 1967 ein wunderbares Buch zur Einführung in das Christentum geschrieben hat, wird aufgefordert, sein weißes Papst-Gewand abzulegen. Sogar der Kirchenausschluss des 2013 zurückgetretenen Kirchenoberhauptes wird gefordert. "Von einem emeritierten Papst muss man erwarten, dass er nichts als die Wahrheit sagt und Reue für sein Fehlverhalten zeigt", wird Ratzingers halbherzige und den Sachverhalt relativierende Verantwortungsübernahme für die Missbrauchsfälle in dem zwischen 1977 und 1982 von ihm geführten Erzbistum München-Freising kommentiert. Dabei sagen auch die Katholiken, die ihrer Kirche Adieu gesagt haben: "Wir sind und bleiben Christen, aber wir können nicht Mitglieder dieser Kirche bleiben."
Auch die Katholiken, die sich weniger auf die Kirche als auf das Evangelium Jesu Chriti beziehen und die Kirche deshalb als ihre geistige Heimat ansehen und einen Kirchenaustritt deshalb "als das falsche Signal" oder als "religiöse Fahnenflucht" betrachten, belassen es längst nicht mehr bei den altbekannten Reformforderungen nach der Abschaffung des Pflichtzölibates, der Unfehlbarkeit des Papstes und der Zulassung von Frauen zum Priesteramt.
Selbst der vorsichtige Stadtdechant Michael Janßen sagt im Zeitungsinterview unumwunden: "Wir müssen im Rahmen des synodalen Weges die Machtstrukturen unserer Kirche neu überdenken. Der Schutz der Institution darf niemals über den Schutz der Menschen gehen und die in der Kirche überzeugend gelebten Glaubensbeispiele dürfen nicht von den Missbrauchsskandalen in der Kirche überlagert werden. Es muss also jetzt etwas getan werden, weil es gar nicht mehr anders geht!"
Der heute in der katholischen Ladenkirche an der Wallstraße engagierte Johannes Brands bringt es aif den Punkt, wenn er sagt: "Wir müssen mal wieder ins Evangelium schauen, um zu sehen, was Kirche ist und was Kirche sein kann." Inzwischen hat das Ruhrbistum reagiert. Generalvikar Klaus Pfeffer holt sich vier gleichberechtigte Kollegen ins neue Führungsteam des Ruhrbistums, zudem unter anderem die Leiterin der Katholischen Akademie Die Wolfsburg, Dr. Judith Wolf, gehören wird.
Zu meinen Beiträgen in NRZ und WAZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen