Donnerstag, 3. April 2014

Eine Komödie über Schein und Sein: Das Backsteintheater und sein Regisseur Heribert Lochthove übersetzten Molieres Schauspiel Tartuffe sehr ambitioniert ins Hier und Heute

Die Perücken erinnern an Molière. Ansonsten lassen die Backstein-Schauspieler vergessen, dass Tartuffe, seine Komödie um Schein, Sein und die zweifelhafte Kunst der Blendung schon 350 Jahre alt ist. Habitus, Sprache und die Musik, zu der getanzt wird, erinnern über weite Strecken eher an Gegenwärtiges als an Vergangenes.


Das ist von Regisseur Heribert Lochthove auch so gewollt und wird dadurch unterstrichen, dass er in einer Videoeinspielung die Schauspieler ohne ihre Kostüm in die Rolle ihrer Charaktere schlüpfen und im Stile einer Doku-Soap erklären lässt, warum ihnen der scheinheilige Tartuffe auf die Nerven geht.

Wer nach der Berichten über den Spielverderber, der im Namen Gottes keinen Spaß versteht, geschweige denn, ihn anderen gönnt, einen predigenden Frömmler im weiten Gewand erwartet, wird ein zweites Mal überrascht und in die Gegenwart zurückgeholt.

Tartuffe tritt, sehr einnehmend und glaubwürdig von Katharina Schallenberg verkörpert, als Motivationstrainer auf, wie man ihn aus zweifelhaften Verkaufs- und Persönlichkeitsseminaren kennt.

„Seien Sie ein Siegertyp“, fordert er seine Zuschauer auf und lässt sie erst mal aufstehen und einige seiner suggestiven Coachingübungen machen: „Sagen Sie auch Ihrem Nachbarn: Du bist ein Siegertyp.“

Herrlich vorwitzig gespielt von Alexandra Glienke versucht die Zofe Dorine ihrem verblendeten Dienstherrn Orgon, wunderbar naiv gespielt von Oliver Jakowiak, die Augen über seinen scheinheiligen Günstling Tartuffe zu öffnen. „Eure Tollheit bringt euch noch um den Verstand. Die wahrhaft Frommen brüsten sich nicht mit ihrer Tugend. Vertraut nicht den falschen Frommen und den falschen Helden.“

Doch Orgon kann sich Tartuffes Charisma einfach nicht entziehen und will dem scheinbar frommen Mann, dem „nichts an den Dingen dieser Welt liegt“ zunächst nicht nur sein Vermögen, sondern außerdem auch seine verzweifelte Tochter Mariane (Andrea Krause) geben.

Auch sein Schwager Cléante (Jost Schenck), der sich mit Wasser und Traubensaft, die wie Wein und Schnaps anmuten, sehr glaubhaft fast um den Verstand trinkt, kann weder den verzückten Orgon noch den scheinheilig gerissenen Erbschleicher Tartuffe zur Vernunft bringen. Das muss am Happy End Orgons Frau Elmire (Simone Adelhütte) mit vollem Körpereinsatz erledigen.

Dieser Text erschien am  31. März 2014 in NRZ und WAZ

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