Montag, 28. April 2014

Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies: Rückschau auf die August-Macke-Ausstellung des Mülheimer Kunstmuseums Alte Post

„Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.“ Unter diesem verheißungsvollen Titel präsentiert das städtische Kunstmuseum Alte Post noch bis zum 27. April Bilder des rheinischen Expressionisten August Macke und einige seiner künstlerischen Zeitgenossen und Wegbegleiter zeigt. Auch 100 Jahre, nachdem Macke mit gerade mal 27 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg gefallen ist, fasziniert er viele kunstinteressierte Menschen. Weit mehr als 30.000 Besucher, die seit Anfang Februar 70 seiner insgesamt mehr als 500 Gemälde sehen wollten, sprechen für sich.

Warum steht Macke bei Kunstfreunden auch heute hoch im Kurs? Die Kunsthistorikerin Beate Reese, die das Kunstmuseum Alte Post seit 2009 leitet und damit auch für die aktuelle Ausstellung verantwortlich zeichnet, erklärt das unter anderem so. „Macke spricht menschliche Grundbedürfnisse und Werte an, etwa das Grundbedürfnis nach Harmonie und Schönheit, nach Freiräumen, aber auch nach Liebe und Geborgenheit. Die Geborgenheit in einem vertrauten familiären Umfeld ist für ihn ein ganz wichtiges Thema.“ Macke selbst hat diese Geborgenheit und Stabilität in der Ehe mit der Fabrikantentochter Elisabeth Gerhardt gefunden, mit der er zwei Söhne hatte. Nicht von ungefähr hat er seine Frau mehr als 200 mal portraitiert. Sein 1910 gemaltes und unvollendet gebliebenes Gemälde Mutter mit Kind gewährt ebenso Einblick in sein Familienleben und erinnert an Maria und das Jesuskind.

Auch wenn Macke kein explizit religiöser Maler war, setzte er sich mit dem Thema Religion auseinander und war, wie seine Künstlerfreunde davon überzeugt, das Kunst eine eigene Spiritualität habe. „Für Macke und die rheinischen Expressionisten hat Kunst die Aufgabe, eine eigene Wirklichkeit und Geistigkeit zum Ausdruck zu bringen, die sich auch von der rein sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit ablöst und nach dem Wesen der Dinge sucht,“ betont Reese. Der Garten, in dem der Mensch ganz bei sich sein und sich an der Vielfalt der Schöpfung erbauen kann, ist in Mackes Werk ein immer wiederkehrendes Motiv. Hier setzt er seine Vorstellung vom Paradies, die ihn seit seiner Jugend faszinierte, ins Bild. „Es geht mir darum, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies ausdrücken“, schreibt er 1905 an seine spätere Frau Elisabeth. Und 1913 unterstreicht er in einem Brief an seinen Gönner, Elisabeths Onkel Bernhard Koehler: „Das Arbeit ist für mich ein Durchfreuen der Natur und das Kunstwerk ein Gesang auf die Schönheit der Dinge.“ Sein Bild vom Paradies sieht Macke als Kontrapunkt zu einer zunehmend technisierten und industrialisierten Welt. Den Menschen im Spannungsfeld zwischen christlicher Tradition und technisierter und ökonomisierter Gegenwart malt er um 1910 auch, als er den Turm des altehrwürdigen Freiburger Münsters mit dem Gerüst eines Strommastes konfrontiert. Menschen flanieren an beiden Bauwerken vorbei, schauen auf das Stadtpanorama oder in die Auslagen der Geschäfte und bewegen sich so zwischen Vergangenheit und Moderne.
Sehr konkret und biblisch wird Mackes Bild vom Paradies in einem extrem hochformatigen Paradies-Fresko, das er zwischen 1910 und 1912 mit seinem Malerfreund Franz Marc geschaffen hat und das in der Mülheimer Ausstellung als Reproduktion zu sehen ist. Macke und Marc malen das Paradies ohne Schlange und Apfel, zeigen Adam und Eva im Einklang mit der Schöpfung und dem Schöpfer. Ein am Bildrand angedeuteter arabischer Reiter ist ein Ausfluss von Mackes Nordafrikareise und unterstreicht seine von Universalität und auch Exotik geprägte Paradiesvorstellung. Es ist ein Paradies ohne Sündenfall und Vertreibung.

„Vor dem Ersten Weltkrieg sind Paradiesvorstellungen weit verbreitet . Die Expressionisten malen die Sehnsucht nach unberührter Natur und das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur, das von gesellschaftlichen Zwängen befreit ist“, sagt Reese und macht damit deutlich, wie sehr der widersprüchliche Zeitgeist Mackes auch der unsere ist. Und wie Macke sind auch wir auf einer Lebensreise, die uns zuweilen in stürmische Gewässer bringt. Dieses Bild der Lebensreise, auf der wir nicht zuletzt mit Gottvertrauen unseren eignen Lebensweg und unsere eigene Balance finden müssen, sehen wir in Mackes „Seiltänzer“, aber auch in seinem Gemälde „Jesus im Nachen“ wieder, der uns den schlafenden Jesus auf dem stürmischen See Genezareth vor Augen führt, der mit im Sturm der Gezeiten Ruhe, Sicherheit und Vertrauen ausstrahlt und damit einen Kontrapunkt zu seinen hektisch mit den Segeln ihres Fischerbootes hantierenden Jüngern setzt.

Am Ende zeigt uns die Mülheimer Macke-Ausstellung, die mit Bildern von Franz Marc, Otto Pankok und Heinrich Campendonk auch Einblicke in die Kunst des Ersten Weltkrieges liefert, dass auch August Macke ein Kind seiner Zeit und ihrer Widersprüche war. Als Mensch sehnte er sich nach Liebe, Harmonie und Geborgenheit. Als Maler schätzte er seine französischen Kollegen und ließ sich gerne von ihnen inspirieren. Dennoch ließ er sich im August 1914 von der Kriegsbegeisterung mitreißen und kämpfte als deutscher Soldat an der Front in Frankreich.
 „Und wenn man sieht, wie gerne alle gehen, das ist herrlich. Und an sich selbst darf man unter den Millionen gar nicht denken, nur an das Land, das gerettet wird“, schreibt Elisabeth Macke damals voller Euphorie an Franz Marcs Frau Maria. Erst an der Front erkennt August Macke die mörderische Realität des Krieges und schreibt am 9. September 1914 an seine Frau: „Unser aller Gedanke ist Friede. Der Krieg ist von einer namenlosen Traurigkeit. Man ist weg, eh man es merkt. Über allem Kanonendonner schwebt nur eine sonnige Wolke, die Liebe zu euch Allen.“ 17 Tage nachdem er diese Zeilen geschrieben hat, wird Macke am 26. September 1914 bei Perthes-lés-Hurlus im Depratment Marne von einer Kugel tödlich getroffen. Sein Malerfreund Franz Marc, der 1916 bei Verdun fallen wird, schreibt in einem Nachruf: „Im Krieg sind wir alle gleich. Aber unter 1000 Braven trifft eine Kugel einen Unersetzlichen. Mit seinem Tod wird der Kultur eines Volkes eine Hand abgeschlagen, ein Auge blind gemacht. Wie viele schreckliche Verstümmelungen mag dieser grausame Krieg unserer zukünftigen Kultur gebracht haben?“

Dieser Text erschien im April 2014 in der Tagespost und im Neuen Ruhrwort 

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