Mittwoch, 21. August 2013

Was ist uns unsere Kommunalpolitik wert? Sollte sie weiter ehrenamtlich oder doch besser hauptamtlich betrieben werden?

Wer mehrstündige Rats- oder Ausschusssitzungen, miterlebt, bekommt eine Ahnung davon, mit welch komplexen Themen sich ehrenamtliche Kommunalpolitiker beschäftigen und welche Papierberge sie bewältigen müssen. Ratsherr Hans Georg Hötger von den Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) erinnert sich etwa an einen 256-seitigen Bebauungsplan und fragt sich: „Wer soll das alles lesen?“


„Die meisten Bürger wissen gar nicht, was wir tun und werfen uns mit der Verwaltung oder mit den Berufspolitikern auf Bundes- und Landesebene in einen Topf“, beklagt SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering. Er kann nicht verstehen, dass Bürger, die sich ehrenamtlich in der Leseförderung engagieren, ein positives Echo bekommen und Ratsmitglieder, die sich um das Gemeinwesen kümmern, vor allem Kritik zu hören bekommen.

Trotz einer Aufwandsentschädigungen (siehe Kasten) ist Kommunalpolitik, anders als Landes- oder Bundespolitik, ein Ehrenamt mit hohem Arbeits- und Zeitaufwand. Deshalb will die SPD-Landtagsfraktion Kommunalpolitiker besser bezahlen. Und der ehemalige Fraktionssprecher der Grünen, Thomas Behrendt, forderte in der NRZ hauptamtliche Kommunalpolitiker, die ebenso bezahlt werden sollten wie Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Nur so könne die Doppelbelastung von Haupt und Ehrenamt verhindert und eine Professionalisierung der Kommunalpolitik gefördert werden.

So will Behrendt auch mehr jüngere und beruflich qualifizierte Führungskräfte motivieren, sich auf Zeit in die Kommunalpolitik einzubringen.

Doch nur sein Parteifreund, Tim Giesbert, Sprecher der Grünen Ratsfraktion, will ihm folgen. SPD-Fraktionschef Wiechering und seine Amtskollegen Wolfgang Michels (CDU), Peter Beitz (FDP) und MBI-Stadtrat Hötger wollen ehrenamtliche Kommunalpolitiker besser bezahlen und stärken, aber nicht durch hauptamtliche Kommunalpolitiker ersetzen.

Giesbert, der hauptberuflich für einen grünen Landtagsabgeordneten arbeitet, sieht nebenberufliche Kommunalpolitiker, die in der freien Wirtschaft arbeiten, im Nachteil. Deshalb plädiert er für einen kleineren, aber hauptamtlichen Rat. Giesbert: „Die Arbeitswelt ist immer flexibler und anspruchsvoller geworden. Selbst für Schüler und Studenten sind die Zeitfenster für politisches Engagement kleiner geworden. Deshalb müssen wir zu neuen Formen übergehen, wenn wir keinen Rat wollen, in dem nur noch Rentner Zeit für Kommunalpolitik haben. Ein hauptamtlicher und kleinerer Rat, wie ihn Behrendt vorschlägt, könnte attraktiver sein, als das, was wir jetzt haben.“

„Wer soll das bezahlen?“ fragen sich dagegen Michels, Hötger und Beitz angesichts der kommunalen Finanznot, auch wenn ein hauptamtlicher Rat wesentlich kleiner wäre. Ein kleiner und professioneller Rat würde aus Wiecherings Sicht dem „demokratischen Prinzip widersprechen“ und viel weniger als der jetzige Rat „einen sozialen Querschnitt der Bevölkerung“ abbilden. Er empfindet er die Forderung „als weit hergeholt, weil die Aufgabenfülle eines Landtags- oder Bundestagsabgeordneten in der Gesetzgebung nicht mit der eines ehrenamtlichen Kommunalpolitikers zu vergleichen ist.“

„Ich möchte kein hauptamtlicher Kommunalpolitiker sein“, betont FDP-Fraktionschef Beitz. Gerade, weil er von der Politik nicht leben muss, sondern als Unternehmensberater einen eigenen Beruf hat, sieht er sich politisch als unabhängiger und lebensnäher. „Das politische Ehrenamt auf kommunaler Ebene ist eine Korsettstange und ein Vorbild für gelebte Demokratie“, glaubt MBI-Mann Hötger. CDU-Fraktionschef Michels weiß, dass vielen jüngeren Menschen zwischen Familiengründung und Berufsfindung keine Zeit für Kommunalpolitik bleibt. Doch ein hauptamtlicher Rat „mit Fachidioten und einer neuen Politikerkaste“ erscheint ihm nicht erstrebenswert.

Ebenso wie für Abgeordnete bestünde für hauptamtliche Stadträte, die Gefahr, dass sie nach ihrer Zeit im Stadtparlament beruflich den Anschluss verlieren und so ins Bergfreie fallen könnten.

Statt das Ehrenamt in der Kommunalpolitik durch ein Hauptamt zu ersetzen, wollen Beitz, Hötger und Wiechering das politische Ehrenamt im Stadtrat etwa durch mehr öffentliche Anerkennung, eine bessere Vergütung, und bessere personelle Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen und eine verbesserte Zuarbeit und Informationspolitik der Verwaltung, etwa in Form von Ratsreferenten und gestraffteren Vorlagen stärken und attraktiver machen.

Der Preis der Politik

Bundestagsabgeordnete erhalten ein monatliches Gehalt von 7668 Euro. Hinzu kommen 3969 Euro als steuerfreie Kostenpauschale für dienstliche Aufwendung und die Bezahlung von Mitarbeitern.

Landtagsabgeordnete erhalten monatlich 8612 Euro. Hinzu kommen 2114 Euro für ihre Alters- und Hinterbliebenenvorsorge.

Stadtverordnete erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung von 341 Euro. Hinzu kommen 17,50 Euro pro Sitzung.

Fraktionsvorsitzende im Stadtrat erhalten aufgrund ihres besonderen Zeit- und Arbeitsaufwandes eine monatliche Aufwandsentschädigung von 1023 Euro.

Ratsmitglieder, die die Stadt als Aufsichtsratsmitglieder in kommunalen Beteiligungsgesellschaften vertreten, erhalten dafür Sitzungsgelder und eine Grundvergütung So erhält zum Beispiel ein Aufsichtsratsmitglied der Mülheimer Verkehrsgesellschaft eine jährliche Grundvergütung von 600 Euro und 75 Euro pro absolvierter Aufsichtsratssitzung. Der Aufsichtsratsvorsitzende erhält 150 Euro pro Sitzung. Aufsichtsräte tagen in der Regel viermal pro Jahr.

Arbeitgeber, deren Beschäftigte durch ihr kommunalpolitisches Mandat an ihrem Arbeitsplatz ausfallen, können dafür einen Ausgleich von bis zu 150 Euro pro Tag geltend machen.

Kommunalpolitiker müssen ihre Aufwandsentschädigungen versteuern. Die meisten Ratsmitglieder spenden 30 Prozent ihrer Aufwandsentschädigung an ihre Partei.

Dieser Text erschien am 20. August 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung

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