Die Schule, wo ich viel vergessen habe, bestritt seitdem den größten Teil der Zeit. Ich war ein patentierter Musterknabe. Wie kam das bloß? Es tut mir jetzt noch leid. So dichtete Erich Kästner 1930 in seinem „Kurzgefassten Lebenslauf.“ Dabei soll man doch in der Schule nicht vergessen, sondern, wie es wohl jeder Schüler schon mal zu hören bekommen hat, fürs Leben lernen. Doch was hat man in der Schule wirklich für sein Leben gelernt? Heutigen und künftigen Schülern zum Trost fragte ich für die NRZ bei Mülheimern nach, deren Schulzeit schon etwas länger zurückliegt und die sich sei dem in der Schule des Lebens behauptet haben.
„Ich glaube, dass es am wichtigsten war zu begreifen, dass ich, wenn ich mich richtig bemühe, das, was ich mir vornehme, auch wirklich erlernen und einigermaßen gut beherrschen kann“, beschreibt Schuldezernent Ulrich Ernst die zentrale Lektion seiner Schulzeit.
Die Leiterin der Willy-Brandt-Schule, Ingrid Lürig, wird etwas konkreter, wenn sie sich erinnert: „Dass ich später Englisch studiert habe und Lehrerin geworden bin, hat viel mit dem Englischunterricht zu tun, den ich bei meinem Englischlehrer Wilfried Hausmann erleben durfte. Sein Unterricht war lebendig. Da stimmte einfach alles. Wir haben uns damals sehr rege über die verschiedenen Lektüren ausgetauscht und dabei auch viel über Land und Leute gelernt und so ganz nebenbei erkannt, dass die englische Sprache ganz viel mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hatte.“
Auch der Heißener Pfarrer Michael Manz sieht die Wurzeln seiner späteren Berufswahl in der Schulzeit. „Auf meinem Zeugnis stand früher oft: Michael ist zu still. Dass das nicht so geblieben ist, hat mit meinem Grundschulrektor Heinz Bartel und mit meiner Grundschullehrerin Erika Marzi zu tun, bei denen ich vor allem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gelernt habe, weil sie mir das Gefühl gegeben haben: Du kannst was“, erzählt Manz aus seinen ersten Grundschuljahren. Damals wurde in ihm „die Saat gelegt, die später aufgegangen ist“, nämlich den Wunsch, einen lehrenden Beruf zu ergreifen. Als einen solchen begreift Manz auch sein Pfarramt, das er zurzeit auch mit einem Religionslehramt an der Tersteegenschule verbindet.
„Wir waren eine sehr heterogene Klasse. Da habe ich gelernt, mich mit ganz unterschiedlichen Leute zusammenzuraufen und Dinge von der Klassenfahrt bis zur Schülerzeitung so zu organisieren, dass jeder eine Aufgabe übernimmt und etwas zum Gelingen eines Projektes beiträgt“, erinnert sich der Leiter der Styrumer Bürgerbegegnungsstätte Feldmannstiftung Max Schürmann an die wichtigste Lehre seiner Schulzeit, in der er von einem tollen Lehrer auch lernte, „dass Politik spannend sein kann und nicht nur im Bundestag stattfindet.“ Heute organisiert Schürmann zusammen mit Nutzergruppen der Feldmannstiftung und Bürgern aus dem Stadtteil Projekte und Veranstaltungen, die zuweilen auch lokalpolitische Bedeutung haben.
„Aus einer christlichen Grundüberzeugung Verantwortung dort zu übernehmen, wo man hingestellt worden ist, sich mit Leidenschaft für etwas einzusetzen und auch in schwierigen Lebenslagen einen geraden Gang zu bewahren.“ Das hat der Direktor der Katholischen Akademie Die Wolfsburg, Michael Schlagheck, in seiner Schulzeit bei den Ursulinen in Dorsten gelernt. „Es waren vor allem die Wertschätzung, die sie uns entgegenbrachten und ihre Ermutigung zu einer kritischen Mündigkeit“, die Schlagheck bis heute dankbar an Pädagoginnen und Ordensfrauen, wie Johanna Eichmann oder Tisa von der Schulenburg zurückdenken lassen, deren Vorbilder ihn bis heute inspirieren.
Wenn der 1926 in Mülheim geborene Bildhauer Ernst Rasche während seiner schwierigen Schulzeit in den Jahren der Nazi- und Kriegszeit etwas für sein Leben gelernt hat, dann „den Wert des Zusammenhalts und das gute Gefühl, von Klassenkameraden gestützt zu werden oder ihnen selbst eine Stütze sein zu können.“
„These, Antithese und Ausblick in die Zukunft.“ Die Gliederungselemente, die ihr ihre Deutschlehrerin für jeden guten Aufsatz mit auf den Lebensweg gegeben hat, beherzigt die FDP-Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin Ulrike Flach, noch heute. Eigentlich wollte sie Journalistin werden, arbeitete dann aber als Übersetzerin mit Sprache, ehe sie in die Politik einstieg. „Bei meiner autoritären, aber sehr zielorientierten Deutschlehrerin, Frau Dr. Ludes - von ihrem Vornamen machten wir keinen Gebrauch-, habe ich gelernt, strukturiert zu denken und zu handeln und meine Gedanken in entsprechender Form zu Papier zu bringen“, sagt Flach.
„Ich habe in der Schule gelernt, dass man für seine Interessen auch mal streiten muss und nur etwas erreichen kann, wenn man sich zusammenschließt. Denn allein kann man nur in der Ecke stehen und jammern“, beschreibt die Geschäftsführerin der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, Henrike Greven, die wichtigste Lehre ihrer Schulzeit. Ihr Schlüsselerlebnis war ein Schülerstreik, den sie als Stufensprecherin 1982 gegen die damalige Abschaffung des Schüler-Bafögs organisierte. Und obwohl Lehrer mit Disziplinarmaßnahmen drohten, machten 80 Prozent ihrer Mitschüler mit und niemand wurde anschließend behelligt. Ein starkes Gefühl.
Sparkassen-Vorstand Helge Kipping, der sein Abitur 1986 am Karl-Ziegler-Gymnasium gemacht hat, hat aus seiner Schulzeit vor allem Freundschaften mitgenommen, die sein Leben bis heute bereichern: „Wir können uns an dieselben Sachern erinnern und über dieselben Sachen lachen und wenn wir das tun, sind wir im Geiste ganz jung“, beschreibt Kipping den unvergleichlichen Wert alter Schulkameradschaften. Und auch seine Freude daran, „zusammen mit anderen an Projekten zu arbeiten, Ideen zu diskutieren und anschließend Ergebnisse zu präsentieren“, führt er auf Erfolgserlebnisse bei der Projektarbeit seiner Schuljahre zurück.
Dieser Text erschien am 24. Juli 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung
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