Der März 1933 ist für Mülheim ein Schicksalsmonat. Vor 80 Jahren vollzieht sich hier die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Zwei Schlüsselfiguren sind Karl Camphausen und Wilhelm Maerz. Camphausen ist seit 1932 Kreisleiter der NSDAP, ein Amt, das er bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen am 11. April 1945 ausüben wird. Maerz ist Gauinspektor der NSDAP und wird am 31. März 1933 vom damaligen Regierungspräsidenten Josef Terboven zum Oberbürgermeister ernannt. Weil er von diesem Amt offensichtlich überfordert ist, wird er im Juni 1936 von seinen Parteifreunden in die Wüste geschickt. Der Regierungspräsident bescheinigt Maerz in einem Brief vom 31. März 1936, sich mit „persönlichen Ungeschicklichkeiten“ und „psychologischen Fehlern“ den massiven Widerstand seiner Mitbürger und Parteigenossen zugezogen zu haben. Danach verliert sich seine Spur.
Camphausen und Maerz sind beide Kleinbürger, die als Soldaten in Frankreich und Belgien am Ersten Weltkrieg teilgenommen haben. Beide sind im März 1933 noch vergleichsweise jung. Camphausen wurde 1896 in Mülheim und Maerz 1893 in Düsseldorf geboren. Nach dem Volks- und Realschulbesuch macht Camphausen eine Lehre als Handelsgehilfe, arbeitet als kaufmännischer Angestellter, als Handelsvertreter und macht sich später als Süßwarengroßhändler selbstständig. Maerz ist als Inspektor bei der Eisenbahndirektion Essen tätig. In einem Schreiben der Bezirksregierung wird Maerz 1936 zu den „alten Mitgliedern“ der NSDAP gezählt. Schon vor seiner Mülheimer Zeit ist er als Stadtrat und Fraktionsvorsitzender für die NSDAP in Essen aktiv. Camphausen tritt 1930, also auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise und fünf Jahre nach der Gründung des Mülheimer Ortsverbandes, in die NSDAP ein.
Die Partei Hitlers hat vor der letzten, halbwegs freien Kommunalwahl vom 12. März 1933 nur einen Stadtverordneten. Nach dem 12. März 1933 stellt sie 25 von 51 Stadtverordneten und stellt zusammen mit sechs Ratsherren der Deutschnationalen Volkspartei die Ratsmehrheit.
Diese Ratsmehrheit sorgt unter anderem dafür, dass Hitler und Hindenburg Ehrenbürger Mülheims werden, dass die Polizei durch Hilfskräfte von SA und SS verstärkt wird, jüdische Unternehmen von städtischen Aufträgen ausgeschlossen bleiben und den neuen Machthaber politisch missliebige Beamte aus dem Dienst entlassen werden. Schon Anfang März werden in Mülheim rund 100 Kommunisten verhaftet.
Im Rathaus kursieren jetzt schwarze Listen und Dossiers. Der seit 1930 amtierende Oberbürgermeister Alfred Schmidt und seine Beigeordneten Wilhelm Loos, Werner Hoosmann und Arthur Brocke werden unter dem auch publizistisch verbreiteten Vorwurf der Korruption aus ihren Ämtern und im Falle Brockes sogar in den Tod getrieben. Dabei erweisen sich die Vorwürfe schon bald als haltlos und die Staatsanwaltschaft muss ihre Ermittlungen einstellen. Doch die Nazis haben ihr Ziel erreicht und ihre Gegner eingeschüchtert oder aus dem Weg geräumt. Auch in Mülheim gibt es damals die sogenannten „Märzgefallenen“, die in die NSDAP eintreten, um ihre Karrierechancen zu steigern.
Schon vor der Kommunalwahl vom 12. März 1933 fühlen sich die Nazis wie die Herren im Haus, feiern mit Umzügen und öffentlicher Beflaggung ihren Sieg. Am Tag vor der Reichstagswahl vom 5. März 1933 kommt Hitlers Vizekanzler Franz von Papen nach Mülheim, um für die Koalition aus NSDAP und Deutschnationalen zu werben. Die NSDAP gewinnt bei dieser Wahl in Mülheim 37,5 Prozent und die Deutschnationale Volkspartei 12,6 Prozent der Stimmen. Damit liegt die NSDAP unter und die DNVP über ihrem Reichsdurchschnitt von 43,9, respektiven acht Prozent der Stimmen.
Doch schon im Juli 1933 gibt es nur noch eine Partei, die NSDAP. Die kommunalpolitischen Befugnisse des Rates gehen de facto auf einen neuen Beschließenden Ausschuss über, dem sechs Stadtverordnete und der Oberbürgermeister angehören. Doch der eigentliche Machtfaktor hinter dem Oberbürgermeister Maerz ist der NSDAP-Kreisleiter Camphausen. Dieses Amt übt Camphausen, der zuletzt als Buchhalter für die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft gearbeitet hatte, ab April 1933 hauptberuflich aus.
Ab Dezember 1933 gilt auf der Basis einer neuen Kommunalverfassung auch in der Mülheimer Verwaltung das Führerprinzip. Stadträte und Oberbürgermeister werden nur noch durch den Oberbürgermeister oder den Innenminister ernannt, wobei der Kreisleiter der NSDAP ein Vorschlagsrecht hat.
Bei dieser Machtposition überrascht es nicht, dass Camphausen, der ab 1933 dem Stadtrat und ab 1938 auch dem Reichstag angehört, schon nach einem Jahr als Offizier bei der Wehrmacht als „unabkömmlich“ vom Kriegsdienst befreit und stattdessen zur Ernährungsbeauftragten des NSDAP-Gaus Essen ernannt wird.
Was wurde aus den Mülheimer NS-Größen?
Obwohl Wilhelm Maerz bei seiner Verabschiedung als Oberbürgermeister im Rat der Stadt am 26. Mai 1936 davon spricht, dass es Verhandlungen darüber gebe, ihn in einem neuen Amt zu verwenden, verliert sich seine Spur nach seinem Amtsverzicht. Eine Nachfrage beim Landesarchiv ergab, dass er nach seiner Zeit als Oberbürgermeister in Mülheim in den Dienst der Reichsbahn zurückkehrte und bis 1945 in Frankfurt am Main, in Trier und in Dresden tätig war. Danach verliert sich seine Spur endgültig. Wo er nach Kriegsende gelebt hat und wann er gestorben ist, ließ sich nicht mehr ermitteln.
Über den Kreisleiter der NSDAP, Karl Camphausen, weiß man dagegen, dass er am 28. Juni 1945 von der britischen Militärregierung interniert und am 20. Januar 1948 vom Spruchgericht in Hiddessen wegen seiner Zugehörigkeit zum Korps der politischen Leiter der NSDAP zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Da er zuvor bereits in verschiedenen Lagern interniert war und zeitweise bei der Deutschen Hütten- und Bergwerksgesellschaft in Bad Lauterberg/Hartz arbeiten musste, wurde Camphausen bereits am am 22. April 1950 aus der Haftanstalt Esterwegen-Papenburg entlassen. Anschließend kehrte der fünffache Vater, der sich selbst als „gottgläubig“ bezeichnete, aber 1936 aus der evangelischen Kirche ausgetreten war, nicht nach Mülheim zurück, sondern ließ sich als Handelsvertreter im Kreis Lippe nieder. Dort starb er am 11. August 1962.
Dieser Text erschien am 8. März 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung
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