Dienstag, 7. März 2023

Vin der Herberge zum Hotel

 Wo finde ich meinen Platz? Diese Frage hat sich für alle Menschen zu allen Zeiten gestellt, ob wortwörtlich oder im übertragenen Sinn. "Kein Platz, in der Herberge!" Diese Antwort bekam nicht nur die Heilige Familie in Betlehem zu hören, sondern auch viele junge Männer, die zum Beispiel als Handwerker auf der Waltz im 19. Jahrhundert durch Mülheim kamen.

Nicht nur diese Männer wollte der 1848 gegründete Evangelische Jünglingsverein, der sich ab 1907 Christlicher Verein Junger Männer und ab 1971 Christlicher Verein Junger Menschen (CVJM) nannte, nicht allein lassen, sondern ihnen und anderen Menschen, die ihren Platz in der Stadt und in der Gesellschaft suchten, einen solchen Platz geben. 

An einem guten Platz

So entstand 1860 das erste und 1906 das zweite Vereinshaus des CVJM an der Friedrichstraße, letzteres geplant vom Mülheimer Architekten und Zeitungsverleger Franz Hagen. Hier fanden die Gäste, ab 1907 erstmals auch von einem hauptamtlichen CVJM-Sekretär betreut, nicht nur Kost und Logie, sondern auch Nahrung für die Seele, frei nach dem CVJM-Motto: "Leben aus der Quelle"!

So wurde die christliche Herberge auch zum Vereinshaus, zum Gemeindehaus, zum Gottesdienstort, zur Sonntagsschule und zum geselligen und auch persönlichkeits-bildenden Veranstaltungsort im Zentrum der Stadt am Fluss.

Doch durch die Folgen der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise sahen sich die frommen Männer 1930 dazu gezwungen, ihr großes und repräsentatives Haus an der Friedrichstraße zu verkaufen. So wurde aus der christlichen Herberge ein weltliches, aber nicht minder gastliches Haus, das von 1934 bis 2022 von der Familie Hesse als Hotel Handelshof geführt worden ist und der Stadtgesellschaft über Jahrzehnte auch als vielseitiger und beliebter Veranstaltungsort gedient hat. Um 1950 war der Mülheimer Handelshof das größte Hotel Westdeutschland, in dem auch viele Kulturveranstaltungen über die Bühne gingen, weil die im Krieg zerstörte Stadthalle erst 1957 wiederaufgebaut war.

Nicht nur die Folgen der Coronapandemie, sondern auch die massive Konkurrenz durch größere und modernere Hotels in Mülheim und seinen Nachbarstädten beendeten den familiären Hotelbetrieb an der Friedrichstraße. Aus dem Handelshof, soll jetzt hinter der historischen und seit 1993 denkmalgeschützten Fassade eine moderne Seniorenresidenz entstehen. Der demografische Wandel lässt grüßen. Heute sind 30 Prozent der Mülheimer 60 und älter.


Mülheimer Presse

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