Donnerstag, 2. März 2023

In guter Gesellschaft

 Es ist eines der repräsentativsten Gebäude unserer Stadt, ein architektonischer Gruß aus dem 19. Jahrhundert. Heute ist das Casino an der Delle 57 ein freikirchliches Gemeindezentrum und eine private Musikschule. Eine Lyra über dem Portal zeigt an. Hier war von Anfang an Kultur zu Hause.

Errichtet wurde das Haus an der Delle, die damals Mülheims Hauptstraße war, von der 1816 gegründeten und bis heute existierenden und aktiven Bürgergesellschaft Casino. Hier traf sich das gehobene Bürgertum der damals noch jungen und vergleichsweise kleinen Stadt Mülheim, um unter Gleichgesinnten Geselligkeit und Kultur zu pflegen. Über 100 Jahre war das Haus im Besitz der Casino-Gesellschaft, ehe sie es an den Stinnes-Konzern verkaufte. 

1842, wenige Jahre vor der bürgerlichen Revolution von 1848/49, machte das aufstrebende Wirtschafts- und Bildungsbürgertum dem Adel seine gesellschaftliche Dominanz streitig. Mit der voranschreitenden Industrialisierung verlor der Landadel zunehmend an Bedeutung, während das Bürgertum einen sozialen Aufstieg erlebte, der aber nur sehr bedingt auch seine politischen Rechte und Einflussmöglichkeiten erhöhte. Denn auch nach der 1849 gescheiterten Revolution folgte eine Phase der monarchischen Restauration und der politischen Reaktion.

In dieser Phase der deutschen Geschichte gab es auch in Mülheim zahlreiche Vereinsgründungen. Beispielhaft seien hier nur der Schützenverein von 1837, die Karnevalsgesellschaft Aula um 1850, der bis 2016 existierende Männergesangverein Frohsinn (1852) und die bis heute bestehende Turngemeinde 1856 erinnert.

In einer Gesellschaft, die wesentlich immobiler, autokratischer und weniger medial geprägt war als unsere heutige Gesellschaft, boten Vereine dem Bürgertum einen wichtigen gesellschaftlichen Schutzraum, indem es nicht nur eine kulturell anregende und sozial hilfreiche Geselligkeit, sondern auch einen weitgehend freien Gedankenaustausch pflegen konnte.

Mit eben dieser Zielsetzung hatten sich auch in Oldenburg (1785), Berlin (1786), Saarbrücken (1796) und Frankfurt am Main (1802) Bürger in einer Casino-Gesellschaft zusammengefunden. Dem Mülheimer Beispiel folgend gründeten auch Duisburger Bürger im Jahr 1858 eine Casino-Gesellschaft.

Es passt ins politische und historische Bild, dass die nationalliberale Fraktion in der 1848/49 in der Frankfurter Paulskirche tagenden Nationalversammlung im Haus der Frankfurter Casino-Gesellschaft tagte. 175 Jahre später leben wir in einer demokratischen, pluralistischen und multikulturellen Medien- und Informationsgesellschaft, in der die Pflege von Geselligkeit, Kulturgenuss und Gedankenaustausch und völlig anderen Vorzeichen stattfindet als etwa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dennoch bleibt das Anliegen der Casino-Gesellschaft auch heute aktuell, in dem es einen Kontrapunkt zur radikalen Individualisierung unserer postmodernen Gesellschaft setzt.


Zur Mülheimer Casino-Gesellschaft

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