Freitag, 25. September 2020

Reden wir über Heißen

Wie sah Heißen früher aus. Und warum sieht es heute so aus wie es aussieht. Diese Frage beantwortet eine sehenswerte Foto- und Postkartenausstellung, die jetzt im Heißener Nachbarschaftshaus an der Hingbergstraße 311 eröffnet worden ist. Alte und junge Bürger des östlichen Mülheimer Stadtteils haben sie mit Unterstützung des Stadtarchivars Jens Roepstorff zusammengestellt. Schon bei der Vernissage kamen die Generationen der Alteingesessenen und der Neuzugezogenen über ihren Stadtteil ins Gespräch.

Svenja Ester, Heißenerin des Jahrgangs 1977, brachte das Gespräch über den Stadtteil zwischen Gracht und Mühlenfeld, Honigsberg und Hingberg, Marktplatz und Rhein-Ruhr-Zentrum, Hardenbergstraße, Humboldthain  und Heimaterde mit einem Text des Heißener Heimatforschers Heinz Hohensee (1940-2017) in Gang. Da hörte man oder erinnerte sich zum Beispiel an das alte Kino im Bürgerhaus an der Kruppstraße, wo „Grün ist die Heide“ in den 1950er Jahren für 70 Pfennige pro Karte zum Kassenschlager wurde. Oder man wurde etwa an die meisterlichen Ambitionen des RSV-Heißen erinnert, der in den späten 1940er Jahre 1000de von Feldhandballfans in den damals noch vom Bergbau geprägten Stadtteil lockte und deshalb die Sondereinsatzwagen der Mülheimer Straßenbahn Schlange stehen ließ.


Anregenden Gesprächsstoff lieferten auch die von Ralf Bienko interviewten Zeitzeugen Anneliese Beermann (Jahrgang 1930), Annegret Gensinger (Jahrgang 1947) und Rolf Mühlenfeld (Jahrgang 1950).


Anneliese Beermann berichtete unter anderem über die harten Hungerjahre nach dem Krieg, als ihre sieben Geschwister und sie überall für dieses und jenes anstehen mussten, dass es damals nur gegen Lebenmittelbezugsscheine gab. Kartoffeln klaute man bei Bedarf auch vom Feld des nächstbesten Bauern. Und der Vater, der als Maurer auf der Zeche Rosenblumendelle den Lebensunterhalt seiner Familie verdiente, sorgte mit seinem Kohlendeputat dafür, dass daheim der Ofen nicht ausging. Ein Stück Gesellschaftsgeschichte konnte die Elektromeisterin Annegret Gensinger erzählen, die erst das Schneiderhandwerk erlernte und dann umschulte, um damals als einzige Meisterin ihres Jahrgangs den Elektrobetrieb ihres Vaters zu führen. Ihre bis zu 15 Mitarbeiter hätten mit ihrer Chefin, die aus Prinzip ihre Leiter selbst zum Arbeitseinsatz trug, kein Problem gehabt. Doch einige ihrer Kunden hätten anfangs gefragt: „Fräulein, können Sie das denn auch?“ Als langjähriger Vorsitzender des Turnerbunds Heißen schilderte Rolf Mühlenfeld, die sportlichen Rivalitäten und späteren Fusionsversuche mit dem RSV, dessen Sportplatz in den Hungerjahren nach dem Krieg auch als Acker genutzt worden sei.

Der 1939 geborene Friedrich Ostwald, schaltete sich aus dem Auditorium in das Zeitzeugeninterview ein, in dem er über Schulspeisungen auf Rezept und über Hamsterfahrten ins Münsterland berichtete.


„Schön wie dieser Raum mit Engagement gefüllt und die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird“, betonte der ebenfalls zur Vernissage erschienene Sozialdezernent a.D., Ulrich Ernst. Er gehörte vor einem Jahr neben der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft, deren Verein Mülheimer Nachbarschaft und dem Pflegedienst Behmenburg zu den Initiatoren des Heißener Nachbarschaftshauses, in dem sich seit seiner Eröffnung im September 2019 insgesamt rund 6000 Nachbarn bei unterschiedlichsten Veranstaltungen begegnet sind.


„Der Vergleich der alten und neuen Stadtteilansichten zeigt unter anderem, wie viele Felder und Äcker es früher in Heißen gab, auf denen heute Häuser stehen“, stellten der 1943 geborene Klaus Kocks und seine ein Jahr jüngere Frau Gisela beim Ausstellungsrundgang fest.


„Ich finde es spannend, auf diesem Weg zu erfahren, wie sich Heißen verändert hat. So weiß ich viel mehr über die Geschichte des Stadtteils, in den ich vor einem Jahr gezogen bin und deshalb auch viel bewusster und mit einem ganz anderen Blick durch die Straßen gehen“, lobte der 1979 geborene Neu-Heißener Dennis Wolter die aus dem im Nachbarschaftshaus herausgebildeten Nachbarschaftsnetzwerk hervorgegangen ist.

 

Wer mehr über die Aktivitäten im und rund um das 200 Quadratmeter große und von der MWB erbaute Nachbarschaftshaus an der Hingbergstraße 311 erfahren möchte, kann dies in dem vom Heißener Ralf Bienko gemachten Internet-Podcast unter: https://www.podcast.de/episode/481712246/Nachbarschaftshaus+-+Neues+aus+Hei%C3%9Fen+Nr.16/ oder direkt vor Ort tun. Das an der U-Bahn-Haltestelle Mühlenfeld gelegene Nachbarschaftshaus wird von Alexandra Teinovic, Isabelle Wojcicki und Peter Behmenburg betreut. Es ist montags bis donnerstags zwischen 8 und 12 Uhr sowie zwischen 14 und 16 Uhr und freitags von 8 bis 14.30 Uhr geöffnet und telefonisch erreichbar unter: 0208-20586927.


Dieser Text erschien am 22. September 2020 in NRZ & WAZ

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