Der Wilde Westen beginnt manchmal schon in Mülheim. Das erlebte ich jetzt als ich im Mülheimer Westen an der Duisburger Straße in Speldorf in die Straßenbahn der Linie 901 einsteigen wollte. Um ein Haar wäre meine Lebensreise plötzlich und unerwartet vorbei gewesen, weil ein Geländewagen-Fahrer in Wild-West-Manier und entgegen der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht an der haltenden Bahn anhielt, sondern einfach durchfuhr, so dass ich auf halbem Weg zwischen Bürgersteig und Straßenbahn in letzter Sekunde zur Seite springen musste. Als ich mit schlotternden Knien in der Straßenbahn Platz genommen hatte, überraschte mich der Straßenbahnfahrer, indem er seine Außenlautsprecheranlage anwarf und dem Verkehrsrowdy unmissverständlich und unüberhörbar wissen ließ, was er von seinem Verkehrs-Rowdytum hielt. Die Gardinenpredigt aus dem Straßenbahn-Mikrofon überzeugte mich mit ihrer aus dem heiligen Zorn gespeisten Wortgewalt.
Tatsächlich würde ich mir auch auf anderen Lebenswegen und in anderen Lebenslagen manchmal eine solch klare Ansage von unseren Steuerleuten an jene Zeitgenossen wünschen, die glauben, dass die bewährten Grundregeln des Respekts und der Rücksichtnahme im menschlichen Verkehr nur für die anderen, aber nicht für sie selbst gelten. Heute zeigt uns in ungewollt drastischer Form das Coronavirus, dass eben diese Frage von Respekt und Rücksichtnahme keine Sekundärtugend ist, sondern manchmal über Leben und Tod entscheiden kann.
Dieser Text erschien am 7. September 2020 in der NRZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen