Montag, 18. Mai 2015

Lisa Wehling: Die Zuverlässige

Mittags bei Hemmerle an der Schloßstraße. Die Bäckerei gleicht einem Taubenschlag. Kunden komen und gehen. Die meisten haben es eilig. Viele kommen in ihrer Mittagspause, um sich mit belegten Brötchen, Kaffee und Kuchen zu stärken. Andere decken sich mit Brot, Stuten, Bienenstich oder Crossaints ein. „Wie hoch ist bei diesem Brot der Roggenanteil? Warum sind die Brötchen zwei Cent teurer geworden? Von diesem Kuchen möchte ich aber kein randstück haben. Und ist der auch frisch?“ Letztere Frage hört Lisa Wehling in schöner Regelmäßigkeit und lächelt milde. „Natürlich. Alle unsere Backwaren werden täglich frisch zubereitet.“ Und dann braucht eine ältere Dame mit Rollator ihre Hilfe. Erst muss sie über die kleine Eingangsrampe in die Bäckerei buggsiert werden. Und später bringt sie der Dame Kaffee und Kuchen an den Tisch. Denn die Bäckerei an der Schloßstraße ist auch ein Café.

Auch als sich die Bäckereiverkäuferin Zeit für den Mann von der Presse nimmt, wird sie regelmäßig von Kunden gegrüßt und grüßt freundlich zurück. Die meisten Kunden kann sie mit namen ansprechen. „Ihr Namensgedächtnis finde ich toll“, meint eine Kundin. Wenn Wehling ihren Hemmerle-Arbeitsdress auszieht und ganz privat in Mülheim unterwegs ist, wird sie öfter angesprochen: „Ich kenne sie doch irgendwoher. Aber ich weiß nicht, wo ich Sie hinstecken soll“, hört sie oft und antwortet dann: „Wahrscheinlich haben wir uns schon mal bei hemmerle an der Theke gesehen.

Wer Wehling und ihre Kolleginnen bei der Arbeit beobachtet, merkt sofort. Ihre Arbeit ist kein leichter Job, sondern erfordert menschliches Fingespitzengefühlt. Im Minutentakt müssen sie sich möglichst freundlich lächelnd auf neue Kunden einstellen, die nicht immer freundlich auf sie zukommen. Und die Wünsche wechseln so schnell wie die Gesichter. Mal soll der Kaffee in eine vorgewärmte und mal in eine kalte Tasse eingeschenkt werden. Mal muss das Brötchen hell und mal mal wieder dunkel sein.

Wenn man sich mit Lisa Wehling unterhält, merkt man, dass sie eine gelassene und freundliche Frau ist, deren Lebenserfahrung dafür sorgt, dass sie sich so schnell von nichts aus der Ruhe bringen lässt. Wenn sie sagt: „Ich habe gerne Menschen um mich herum“, glaubt man das der zweifachen Mutter sofort.

Die 56-Jährige lässt keinen Zweifel daran, dass sie gerne zur Arbeit geht, auch wenn ihr Arbeitstag oft schon kurz nach fünf Uhr in der Frühe beginnt und auch die Sonntage nicht immer arbeitfrei sind. Denn bevor sie 2006 als verkäuferin bei Hemmerle einstieg, hatte sie auch schon Zeiten hinter sich, in denen sie mit mehreren Jobs den Lebensunterhalt für ihre Kinder und sich verdienen musste. Als Reinigungskraft hat Wehling ebenso gearbeitet, wie als Empfangsdame an der Rezeption eines Altenheimes oder als Buchhalterin in einem Versicherungbüro.

Sowohl das kaufmännische Handwerk, als auch der Umgang mit Kunden sind für Lisa Wehling nicht neu. Denn sie ist als Einzelhandelskauffrau bei ihrem Vater in die Lehre gegangen, der bis Mitte der 80er Jahre in der Nachbarstadt Duisburg einen Supermarkt betrieb, der etwa so groß war, wie der im vergangenen Sommer geschlossene Tengelmann-Markt an der Leineweberstraße. „Das würde ich heute nicht noch mal machen. Denn wenn man beim eigenen Vater lernt, muss man immer die Beste sein“, erinnert Wehling an die harte Schule ihrer Lehrjahre. Doch in dieser Zeit, in der ihre Arbeitstage oft schon um drei Uhr nachts beim Einkauf auf dem Großmarkt begannen, hat sie die Tugenden trainiert, die ihr auch heute noch als als wichtiges Rüstzeug helfen, im Berufsleben zu bestehen: „Zuverlässigkeit und Flexibilität.“


Auch wenn Wehling einräumt, „dass man nicht jeden Tag gleich gut drauf sein kann“, hat sie schon in ihren Lehrjahren begriffen: „Man darf seine eigenen Probleme nicht mit ins Geschäft bringen. Und egal was gerade zu tun ist, der Kunde steht immer im Mittelpunkt.“ Deshalb lässt sie sich auch dann nicht auf Dikussionen ein, wenn ihr ein Kunde mal krumm kommt. „Denn die netten Kunden sind Gott sei Dank in der Meheit und schreiben uns manchmal sogar einen Brief, in dem sie sich für unsere freundliche und gute Beratung bedanken“, freut sich Wehling. Dennoch stellt sie auch fest, „dass viele menschen gereizter sind als früher, weil überall die Preise steigen und die Einkommen oft nicht mithalten können.“

Dieser Text erschien am 16. Mai 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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