Mittags bei Hemmerle an der Schloßstraße. Die Bäckerei
gleicht einem Taubenschlag. Kunden komen und gehen. Die meisten haben es eilig.
Viele kommen in ihrer Mittagspause, um sich mit belegten Brötchen, Kaffee und
Kuchen zu stärken. Andere decken sich mit Brot, Stuten, Bienenstich oder
Crossaints ein. „Wie hoch ist bei diesem Brot der Roggenanteil? Warum sind die
Brötchen zwei Cent teurer geworden? Von diesem Kuchen möchte ich aber kein
randstück haben. Und ist der auch frisch?“ Letztere Frage hört Lisa Wehling in
schöner Regelmäßigkeit und lächelt milde. „Natürlich. Alle unsere Backwaren
werden täglich frisch zubereitet.“ Und dann braucht eine ältere Dame mit
Rollator ihre Hilfe. Erst muss sie über die kleine Eingangsrampe in die
Bäckerei buggsiert werden. Und später bringt sie der Dame Kaffee und Kuchen an
den Tisch. Denn die Bäckerei an der Schloßstraße ist auch ein Café.
Auch als sich die Bäckereiverkäuferin Zeit für den Mann von
der Presse nimmt, wird sie regelmäßig von Kunden gegrüßt und grüßt freundlich
zurück. Die meisten Kunden kann sie mit namen ansprechen. „Ihr Namensgedächtnis
finde ich toll“, meint eine Kundin. Wenn Wehling ihren Hemmerle-Arbeitsdress
auszieht und ganz privat in Mülheim unterwegs ist, wird sie öfter angesprochen:
„Ich kenne sie doch irgendwoher. Aber ich weiß nicht, wo ich Sie hinstecken
soll“, hört sie oft und antwortet dann: „Wahrscheinlich haben wir uns schon mal
bei hemmerle an der Theke gesehen.
Wer Wehling und ihre Kolleginnen bei der Arbeit beobachtet,
merkt sofort. Ihre Arbeit ist kein leichter Job, sondern erfordert menschliches
Fingespitzengefühlt. Im Minutentakt müssen sie sich möglichst freundlich
lächelnd auf neue Kunden einstellen, die nicht immer freundlich auf sie
zukommen. Und die Wünsche wechseln so schnell wie die Gesichter. Mal soll der
Kaffee in eine vorgewärmte und mal in eine kalte Tasse eingeschenkt werden. Mal
muss das Brötchen hell und mal mal wieder dunkel sein.
Wenn man sich mit Lisa Wehling unterhält, merkt man, dass
sie eine gelassene und freundliche Frau ist, deren Lebenserfahrung dafür sorgt,
dass sie sich so schnell von nichts aus der Ruhe bringen lässt. Wenn sie sagt:
„Ich habe gerne Menschen um mich herum“, glaubt man das der zweifachen Mutter
sofort.
Die 56-Jährige lässt keinen Zweifel daran, dass sie gerne
zur Arbeit geht, auch wenn ihr Arbeitstag oft schon kurz nach fünf Uhr in der
Frühe beginnt und auch die Sonntage nicht immer arbeitfrei sind. Denn bevor sie
2006 als verkäuferin bei Hemmerle einstieg, hatte sie auch schon Zeiten hinter
sich, in denen sie mit mehreren Jobs den Lebensunterhalt für ihre Kinder und
sich verdienen musste. Als Reinigungskraft hat Wehling ebenso gearbeitet, wie
als Empfangsdame an der Rezeption eines Altenheimes oder als Buchhalterin in
einem Versicherungbüro.
Sowohl das kaufmännische Handwerk, als auch der Umgang mit
Kunden sind für Lisa Wehling nicht neu. Denn sie ist als Einzelhandelskauffrau
bei ihrem Vater in die Lehre gegangen, der bis Mitte der 80er Jahre in der
Nachbarstadt Duisburg einen Supermarkt betrieb, der etwa so groß war, wie der
im vergangenen Sommer geschlossene Tengelmann-Markt an der Leineweberstraße.
„Das würde ich heute nicht noch mal machen. Denn wenn man beim eigenen Vater
lernt, muss man immer die Beste sein“, erinnert Wehling an die harte Schule
ihrer Lehrjahre. Doch in dieser Zeit, in der ihre Arbeitstage oft schon um drei
Uhr nachts beim Einkauf auf dem Großmarkt begannen, hat sie die Tugenden
trainiert, die ihr auch heute noch als als wichtiges Rüstzeug helfen, im
Berufsleben zu bestehen: „Zuverlässigkeit und Flexibilität.“
Auch wenn Wehling einräumt, „dass man nicht jeden Tag gleich
gut drauf sein kann“, hat sie schon in ihren Lehrjahren begriffen: „Man darf
seine eigenen Probleme nicht mit ins Geschäft bringen. Und egal was gerade zu
tun ist, der Kunde steht immer im Mittelpunkt.“ Deshalb lässt sie sich auch
dann nicht auf Dikussionen ein, wenn ihr ein Kunde mal krumm kommt. „Denn die
netten Kunden sind Gott sei Dank in der Meheit und schreiben uns manchmal sogar
einen Brief, in dem sie sich für unsere freundliche und gute Beratung
bedanken“, freut sich Wehling. Dennoch stellt sie auch fest, „dass viele
menschen gereizter sind als früher, weil überall die Preise steigen und die
Einkommen oft nicht mithalten können.“
Dieser Text erschien am 16. Mai 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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