Die Mendener Brücke an der Ruhr und das leerstehende Winkhaus an der Ecke
Eppinghofer Bruch/Leybankstraße sind nur zwei auf den ersten Blick unscheinbare
Orte, die Helmut Herrmann morgen auf seiner historischen Stadtrundfahrt
ansteuern wird. Am 8. Mai, dem 70. Jahrestag des Kriegsendes, will der Nestor
der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes in drei Stunden interessierten
Zeitreisenden Spuren der Mülheimer NS-Herrschaft aufzeigen. „Das ist weiter
notwendig, solange es Politik und Justiz nicht schaffen, rechtsextreme Gruppen
und Parteien zu verbieten und Flüchtlingsheime zum Teil von der Polizei bewacht
werden müssen, weil sie von Rechtsradikalen angegangen werden“, findet der 1929
geborene Herrmann. Er selbst erlebte, wie seine Eltern von der SA misshandelt
und inhaftiert wurden, weil sie aktive Kommunisten und Gewerkschafter
waren.
Spuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft findet man zum
Beispiel am alten Winkhaus, das viele Mülheimer noch als Kneipe kennen. „An den
Fenstern sind noch die Gitter des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers zu sehen, in
dem vor allem französische Zwangsarbeiter Hunger und Gewalt ertragen mussten.
Sie wurden an der nahegelegenen Bahnstrecke bei Gleisarbeiten eingesetzt,“
berichtet Herrmann. Aus früheren Nachforschungen weiß er, dass es während des
Zweiten Weltkrieges in Mülheim rund 24?000 Zwangsarbeiter gab, die in 55 Lagern
interniert waren. Er schätzt, dass rund 400 von ihnen während ihrer Zeit in
Mülheim ums Leben kamen und unter anderem auf dem Altstadtfriedhof begraben
wurden. Den alten Friedhof zwischen Dimbeck und Kettwiger Straße wird Herrmann
bei seiner Stadtrundfahrt ebenso anfahren, wie die Mendener Brücke. Sie hieß
während der NS-Zeit Hermann-Göring-Brücke und wurde bei Kriegsende gesprengt.
Unweit der Mendener Brücke wohnte einst auch Werner Best, der nach dem Kriegs
als Justitiar bei Stinnes Karriere machte und rechtlich nur mit einer Geldstrafe
belangt wurde, obwohl er während des Krieges Reichsstatthalter in Dänemark und
mitverantwortlich für die Deportation jüdischer Bürger war.
Das Schicksal der rund 600 jüdischen Bürger, die 1933 in Mülheim
lebten, wird morgen am Jüdischen Friedhof an der Gracht erzählt. „Gut die Hälfte
von ihnen musste ihren Hausrat verkaufen, um ihre Flucht aus Nazi-Deutschland
bezahlen zu können. Die anderen kamen während des Holocaust ums Leben“,
berichtet Herrmann.
Bei der Station am Uhlenhorst wird er von dem Beitrag
erzählen, den Mülheimer Industrielle, wie Fritz Thyssen oder Emil Kirdorff zum
Aufstieg Hitlers leisteten. Doch auch die Leidensgeschichte von NS-Gegnern, wie
Willi Müller, Otto Gaudig oder Fritz Terres, die von den Nazis ermordet wurden,
soll bei der am8. Mai startenden Stadtrundfahrt auf den
Spuren der NS-Diktatur zur Sprache kommen.
Dieser Text erschien am 7. Mai 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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