Wie erlebten Mülheimer den 8. Mai 1945? Viele dachten: "Hoffentlich kommen wir
bald nach Hause. Der 8. Mai 1945 steht für das
Ende von NS-Diktatur und Krieg. Im Gespräch machten Mülheimer
Zeitzeugen vor allem eines deutlich: Am 8. Mai 1945 stand nicht Weltpolitik,
sondern der Kampf ums Überleben auf der Tagesordnung. Dennoch wurde der Tag,
trotz Ungewissheiten und Widrigkeiten, als Befreiung erlebt.
"Wir waren alle froh, dass es endgültig vorbei war",
erinnert sich die 1920 geborene Elli Küppers an das Kriegsende im Mai 1945.
Das erlebte sie nicht zu Hause in Styrum, sondern im Teutoburger Wald. Dorthin
war die Familie bereits Ende März evakuiert worden. Die Mülheimerin, die heute
in Heißen wohnt, erinnert sich noch genau daran, dass man in die gute Stube
einer Familie in Pivitzheide bei Detmold einquartiert worden war. Weil die
eigenen Lebensmittelkarten nicht anerkannt wurden, musste die Familie bei Bauern
um Brot bitten. Dass der Krieg zu Ende war, merkte sie, als sie mit einer
Freundin zum Hermannsdenkmal wanderte und plötzlich Zwangsarbeiter
auftauchten.
"Ich hatte die
Nase voll vom Krieg", erinnert sich der damals 21-jährige Elektriker Wilhelm
Janßen an seinen 8. Mai 1945, den er als Kriegsgefangener im alliierten
Wiesenlager von Rheinberg erlebte. Janßen, der seine letzten Kriegstage als
Eisenbahn-Flakhelfer erlebt hatte, berichtet von kalten Nächten unter freiem
Himmel, denen später nur bedingt wetterfeste Zehn-Mann-Zelte gefolgt seien.
Janßen hatte Glück im Unglück. Weil er für die Alliierten zwischenzeitlich
Küchendienst schieben und Maschinen reparieren musste. So konnte er dem harten
Lageralltag immer wieder entfliehen. Wirklich vorbei war der Krieg für Janßen
aber erst am 6. Juni 1945, als ihn ein amerikanischer Lastwagen auf dem
Mülheimer Rathausmarkt absetzte. Einen Monat später wurde er in einem Kino an
der Schloßstraße dann zum ersten Mal mit den Bildern aus einem
Konzentrationslager konfrontiert.
Ebenfalls im
berüchtigten Wiesenlager von Rheinberg erlebte Werner Dreesen (Jahrgang 1921) den 8. Mai.
Kurz vor Kriegsende hatte er sich selbst aus der Wehrmacht entlassen. Er war
schon wieder in Mülheim, als ihn US-Soldaten an einem Straßenposten gefangen
nahmen und nach Rheinberg brachten. Dort mussten er und seine Leidensgenossen in
Erdlöchern und unter freiem Himmel, krank und hungrig kampieren. "Das war das
Schlimmste, woran ich mich erinnern kann", sagt Dreesen. Am 8. Mai flog eine
US-Maschine über das Lager und warf Flugblätter ab. Und plötzlich war der Ruf zu
hören: "Der Krieg ist aus"
Der 1927 in
Mülheim geborene Heinz Schemkes erlebte die letzten Kriegstage als Angehöriger
des Reichsarbeitsdienstes im Hunsrück. Dort geriet er in Gefangenschaft und
wurde nach Frankreich gebracht. Im Lager von Torray La Fleche erfuhr er am 8.
Mai 45 von der Kapitulation der deutschen Wehrmacht. "Wir haben gejubelt und uns
gesagt: ,Hoffentlich kommen wir jetzt bald wieder nach Hause. Und dann hat
irgendjemand die deutsche Nationalhymne angestimmt", erzählt Heinz
Schemkes.
Das Kriegsende erlebte der
damals 16-jährige Hans-Joachim Neuhaus mit seiner Mutter in Daspe an der Weser.
Wenige Wochen zuvor hatte der junge Luftwaffenhelfer bei einem
Tieffliegerangriff einen Arm verloren. Weil seine Mutter damals dort als
Sekretärin des Bürgermeisters arbeitete und Neuhaus der englischen Sprache
mächtig war, wurde ihm die unerwartete Aufgabe übertragen, das Dorf an die
einrückenden US-Truppen zu übergeben. Neuhaus erinnert sich noch gut daran, dass
er den Amerikanern mit einem weißen Taschentuch entgegenging, um seine
Friedfertigkeit zu zeigen.
Die 1923 geborene Tochter des damaligen Mülheimer Oberbürgermeisters Edwin Hasenjaeger,
Margarete Pferdmenges, erlebte das Kriegsende in Oerlinghausen in der Nähe von
Bielefeld. Dort lebte ihre Schwägerin. Drei Ereignisse aus der Zeit des
Kriegsendes sind ihr besonders in Erinnerung geblieben: Der Schrei der
Erleichterung, den ihre Mutter ausstieß, als der Bruder Gisbert heimkehrte, der
ebenso wie der 1943 in Russland gefallene Bruder Gunther Soldat gewesen war,
sowie das Glück, dass ihr damals gerade ein Jahr alter Sohn Gunther unverletzt
blieb, nachdem ein Gewehrschuss der einmarschierenden Amerikaner das
Küchenfenster durchschlagen und die Glasscherben in den darunter stehenden
Kinderwagen geregnet waren. Und schließlich ist ihr der amerikanische
Militärpolizist unvergessen, der während des Mittagessen ins Haus kam, sich wie
selbstverständlich eine Flasche Wein aus der Vorratskammer holte, um dann der
Familie zum Abschied noch "einen guten Appetit" zu wünschen.
Der spätere Geschichtsvereinsvorsitzende und Studienrat Hans Fischer erlebte das Kriegsende als 13-jähriger Schüler in
Bayerisch Eisenstein. Dort kampierte er mit Mitschülern auf Srohballen in einem
ehemaligen Kinosaal, als sich plötzlich wie eine Mund-zu-Mund-Propaganda die
Nachricht vom Frieden verbreitete. Bayerisch Eisenstein war für Fischer und
seine erschöpften Altersgenossen nur eine Etappe auf dem langen Weg aus der
Kinderlandverschickung in Böhmen und Mähren zurück nach Mülheim.
Dieser Text erschien am 6. Mai 2005 in der Neuen Ruhr Zeitung
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Weihnachten im Krieg
Manchmal scheint es so, als lerne die Menschheit nichts aus ihrer Geschichte. Auch dieses Jahr ist Weihnachten ein Fest des Friedens, mitt...
-
Jan Sensky vor seinem Dienswagen Wenn Sie ein altes Möbel- oder Kleidungstück oder auch Geschirr zu Hause stehen haben, die noch gut zu ...
-
Der 30. und 31. Januar ist in meinem Kalender rot angestrichen", erzählt Familienforscherin Bärbel Essers. Dass das so ist, hat mit der...
-
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.” Auch dieses Volkslied dürfte die Schildberger Sing- und Spielschar ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen