Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ich mich daran erinnere, als kleiner Junge über die Baustellenbalken der aufgerissenen Schloßstraße gelaufen zu sein und den Baustellenlärm kaum ertragen zu haben.
Fußgängerzone hieß für die Schloßstraße auch Tiefgarage. Soviel autogerechte Stadt musste damals sein. Wenn die Autos und die Straßenbahn schon nicht mehr durch Mülheims Haupteinkaufstraße fahren sollten, dann musste der Fußweg zum Einkauf, zur Arbeit oder zur eigenen Wohnung doch möglichst kurz sein.
Dabei nannten die alten Mölmschen die Schloßstraße nicht von ungefähr ihre Renne. Renne, wie Rennstrecke. Sie waren in der Regel zu Fuß oder mit der Tram, die damals auch noch einen Schaffner an Bord hatte, unterwegs. Hier fanden sie alles, was das Leben angenehmer und kurzweiliger macht: Cafes, Restaurants, Geschäfte, Kinos. Hier wollte man sehen und gesehen werden.
Die Schloßstraße als breite Haupteinkaufsstraße war ein Produkt der 1920er und 1930er Jahre. Denn bis dato war die Schloßstraße, dass was wir heute als Schloßbrücke und als Leineweberstraße kennen. Die heutige Schloßstraße hieß früher Jacken und Kettenbrückenstraße. Den Durchbruch zur neuen Schloßstraße, die jetzt nicht mehr die direkte Verbindung zum Schloss Broich darstellte, entstand am Ende der 1920er Jahre an der Unteren Schloßstraße mit dem Woolworth-Kaufhaus, das heute, nach einem Fassaden-Relanche als Ärzte- und Apothekenhaus genutzt wird.
Kaufhaus, Das war damals, bevor die Weltwirtschaftskrise vielen Menschen das Geld zum Einkauf raubte, die Spitze des modernen Einzelhandels, der immer noch von altersher von inhabergeführten Fach- und Lebensmittelgeschäften bestimmt wurde.
Die Mülheimer Innenstadt hatte damals mit Tietz am Löhberg und Alsberg an der Bachstraße/heute Leineweberstraße noch zwei weitere Kaufhäuser. Letzteres ließ seine Kunden sogar mit einem Aufzug in ungeahnte Höhen des Einkaufsvergnügens kommen.
Ab 1933 war bekanntlich Schluss mit lustig. Die von jüdischen Inhabern geführten Kaufhäuser Tietz und Alsberg wurden, wie es im NS-Sprachgebrauch hieß. arisiert, was tatsächlich einer Enteignung, einer Beraubung ihrer Eigentümer entsprach. Auch die Arisierungsgewinner, die jetzt den Kaufhof und Lindner und Berger führten, mussten im Luftkrieg der Jahre 1940 bis 1945 am eigenen Leib erleben, wohin Hitlers Politik führte.
Nach dem Krieg, als mehr als 70 Prozent der innerstädtischen Bausubstanz zerstört oder beschädigt war, musste und wollte man, zum Beispiel mit der neuen Leineweberstraße aus der Not eine Tugend machen. Die neue Inennstadt, die mit dem westdeutschen Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren eine Renaissance erlebte, wurde autogerechter und moderner. aber nicht schöner. Die neue Leineweberstraße durchtrennte als mächtige Ost-West-Achse die alte und die neue Innenstadt Mülheims. Der Kirchenhügel wurde abgeschnitten und abgehängt. Es erstaunt immer wieder die Vor- und Nachkriegsansichten der Innenstadt zu betrachten und den Eindruck auf sich wirken zu lassen, man schaue auf unterschiedliche Orte.
Die 1970er Jahre waren vom Fortschrittsglauben geprägt, angetrieben von steigenden Einwohnerzahlen, die in Mülheim bis auf 193.000 kletterten. Ausdruck eines modernen Mülheims, dass sich im Wachsen begriffen sah, tatsächlich aber schon 1973 seinen demografischen Zenit überschritten hatte, waren der neue Hans-Böckler-Platz mit dem City Center und den Hochhäusern, der U-Bahnbau zwischen Essen und Mülheim sowie die 1974 und 1978 eröffneten Fußgängerzonen an der Schloßstraße und an der Leineweberstraße.
Angesichts des akuten Leerstandes in der City mag man sich heute kaum noch vorstellen, dass der Begriff Ladenleerstand vor 50 Jahren noch ein Fremdwort war. Immerhin gab es Mitte der 1970er Jahre mit dem Rhein-Ruhr-Zentrum und dem City Center schon zwei Mülheimer Einkaufszentren, die dem Einzelhandel in der Innenstadt Konkurrenz machte.
Sicher darf man nicht vergessen. Damals gab es noch kein Internet und deshalb auch keinen Online-Handel. Außerdem gab es damals mit den Mannesmann Röhrenwerken und der Tengelmann Gruppe zwei große Mülheimer Arbeitgeber und Steuerzahler, die heute leider Geschichte sind.
Vergleicht man die Schloßstraße von heute mit der Schloßstraße, die 1974 zu einer Fußgängerzone mit Tiefgarage wurde, muss man sich auch als Lokalpatriot eingestehen. Sie ist ein Schatten ihrer selbst. Der Niedergang begann ab Mitte der 1990er Jahre, als auch Duisburger, Essen und Oberhausen große Einkaufstempel bauten und in den 2000er Jahren mit dem Dümptener Tor ein weiteres Mülheimer Einkaufszentrum entstand.
Bei aller Kritik an der heutigen Innenstadt im Allgemeinen und an der Schloßstraße im Besonderen, darf man nicht übersehen, dass es hier auch heute in der City sowohl mit Blick auf den Einzelhandel als auch mit Blick auf die Gastronomie immer noch bemerkenswerte Angebote gibt, die allen Leerständen trotzen.
Allerdings haben es diese Oasen und Inseln im Meer und in der Wüste der tristen Leerstände schwer, ihre Anziehungs- und Ausstrahlungskraft zu entfalten. Das gilt auch für den Mülheimer Wochenmarkt, der im Rahmen des Ruhrbaniabauprojektes vom Rathausmarkt auf die Schloßstraße umgezogen ist.
Sicher müssen wir unsere Innenstadt heute neu denken. Leerstände und Freiräume können auch mit Wohn- Arbeits- und Kulturraum, Grün- Wasser- und Freizeitflächen mit neuem Leben gefüllt werden. Attraktivere, weil bezahlbarere Mieten könnten ein Übriges für die Innenstadt tun. Und last, but not least, muss sich die heute viel mobilere und digitalere Kundschaft fragen, was ihr eine lebendige Innenstadt mit Gastronomie, Einzelhandel und Aufenthaltsqualität wirklich wert ist, wenn es um das eigene Einkaufs- und Freizeitbudget geht.
Der erste Weihnachtsmarkt auf der Schloßstraße