Freitag, 19. September 2014

Ein Modell, mit dem alle besser fahren würden: Warum der Vorsitzende des Seniorenbeirates, Helmut Storm, der Begleitservice der Mülheimer Verkehrsgesellschaft für unentberlich hält

Dass der von 15 Mitarbeitern geleistete Begleitservice der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) vor dem Aus stehen könnte, weil das Bundesprogramm Bürgerarbeit (siehe unten) Ende des Jahres ausläuft, treibt den Vorsitzenden des Seniorenbeirates, Helmut Storm, um. Deshalb plädiert der ehemalige Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes, wie der Geschäftsführer des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur, Ulrich Schreyer, für einen steuerfinanzierten sozialen Arbeitsmarkt, weil sich dieser aus seiner Sicht nicht nur sozial, sondern auch volkswirtschaftlich auszahlt.

Frage: Warum ist der MVG-Begleitservice aus Ihrer Sicht unverzichtbar?

Antwort: Man muss sehen, dass viele ältere Menschen kein Auto haben oder kein Auto mehr fahren können und deshalb um so mehr auf Bus und Bahn angewiesen sind, um mobil zu bleiben und am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dabei geht es um alltägliche Dinge, wie einen Arztbesuch, einen Einkauf, einen Theaterbesuch oder die Teilnahme an einem Kaffeekränzchen. Wenn alte Menschen dann aber auf einen Rollator angewiesen sind oder ihre Sehkraft nachlässt, sind sie bei der Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs auf Begleitung angewiesen. Und selbst wenn sie Kinder haben, sind die oft aus beruflichen Gründen nicht abkömmlich.

Antwort: Für alte Menschen ist diese subventionierte Mobilitätsassistenz aber auch deshalb wichtig, weil im Alter die Zahl der sozialen Kontakte abnimmt und die Pflege jedes verbliebenen Kontaktes um so wichtiger wird.

Frage: Können sich die unter Konsolidierungsdruck stehenden öffentlichen Haushalte denn die dauerhafte Finanzierung eines sozialen Arbeitsmarktes leisten?

Antwort: Ich bin kein Finanzfachmann, habe aber in der NRZ mit Interesse gelesen, dass die deutsche Staatskasse zurzeit einen Überschuss von 16,1 Milliarden Euro aufweist. Man muss diese Diskussion ehrlich führen und sehen, dass Langzeitarbeitslose auch Kosten verursachen und langfristig auch dann zusätzliche Kosten anfallen, wenn Langzeitarbeitslose in Folge ihrer Erwerbslosigkeit krank werden oder sogar auf die schiefe Bahn abrutschen. Auch wenn ich weiß, dass diese Rechnung wackelig ist und nur schwer auf Euro und Cent zu belegen ist, ist dieser Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen. Hier können wir uns viel Geld und Ärger sparen, wenn wir Langzeitarbeitslosen eine sinnvolle Beschäftigung geben und alte Menschen mobilisieren und ihnen möglichst lange ein selbstständiges und mobiles Leben ermöglichen, statt sie vor der Zeit in ein Altenheim zu schicken.

Frage: Aber die Mehrkosten für die öffentlichen Hände bleiben.

Antwort: Ja, die bleiben, aber sie relativieren sich auch, wenn man nur die Differenz zwischen Sozial- und Lohnkosten betrachtet und darüber hinaus anerkennt, dass auf unserem hoch differenzierten und spezialisierten Arbeitsmarkt eben nicht mehr das Stammtischargument stimmt: „Wer Arbeit will, bekommt auch welche.“ Außerdem glaube ich, dass zumindest die Senioren, die eine gute Rente haben und nicht auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, bereit wären, einen Beitrag zu leisten, um sich ihre mit dem Service verbundene Lebensqualität zu erhalten. Man könnte den Begleitservice sozial Bedürftigen weiter kostenfrei und den finanziell besser gestellten Senioren ein Monatsticket für Bus, Bahn und Begleitservice anbieten. Das wäre ohne großen organisatorischen Aufwand zu machen und würde ein sinnvolles Angebot sichern. Vorstellbar wäre auch, die Bürgerarbeit etwa für Einkäufe, Gespräche oder kleine Reparaturen im Haushalt auszuweiten.

Frage: Was würden Sie den Bundetagsabgeordneten sagen, die über die weitere Finanzierung der Bürgerarbeit entscheidenden müssten?

Antwort: Gehen Sie auf die Straße und schauen Sie sich die alten Menschen an. Schauen Sie ganz genau hin und fragen Sie Ihre Mutter oder Ihren Vater.

Antwort: Und denken Sie daran, dass sich der Wert einer Gesellschaft immer auch daran bemisst, wie sie mit ihren alten Menschen umgeht, die am Ende ja auch Wähler sind.
Dieser Text erschien am 3. September 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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