August Thyssens Maschinenfabrik,
in der damals auch Kriegsgefangene aus Russland und Belgien eingesetzt wurden,
war während des Ersten Weltkriegs der drittgrößte Munitionshersteller Deutschland.
Thyssen konnte die Gewinne seiner Fabrik durch die Kriegsproduktion bis 1917
auf rund 300 Millionen Mark verdreifachen und war, ebenso, wie der damalige
Oberbürgermeister Paul Lembke bis zuletzt Verfechter eines deutschen
Siegfriedens mit weitreichen Annexionen in Frankreich und Belgien. Auch in der
Friedrich-Wilhelms-Hütte wurden Granaten für den Krieg produziert, aber in
erheblich geringerem Umfang als bei Thyssen. Im Kriegsjahr 1917 bestand die
Belegschaft der FWH aus 395 deutschen Arbeitern und aus 398 Kriegsgefangenen.
Auch während des Zweiten Weltkrieges sollten Zwangsarbeiter in den Mülheimer
Rüstungsbetrieben eingesetzt werden.
Kriegsbegeisterung
Auch in Mülheim herrschte im August 1914 Euphorie. „Die Menschen sind auch hier
auf die Straße gelaufen und haben gejubelt. Sie haben später die in der Kaserne
an der Kaiserstraße stationierten Soldaten des Infanterieregimentes 159 mit
Hurrah verabschiedet“, beschreibt Hans Werner Nierhaus die damalige Stimmung. Die
Kriegsbegeisterung fand auch ihren Niederschlag in der Aufstellung von
Jugendkompanien, in denen junge Männer bei regelmäßigen Geländeübungen auf den
Militärdienst vorbereitet wurden. In Mülheim gab es damals viele Krieger- und
Veteranenvereine. Seit 1873 erinnerte ein Kriegerdenkmal an die Gefallenen des
kurzen und siegreichen Krieges gegen Frankreich. Die heute unbegreifliche
patriotische Euphorie, die in der Mülheimer Zeitung vom 2. August 1914 in der
Schlagzeile „Mit Gott für Kaiser und Reich. Der Herr segne die deutschen
Waffen“ ihren Niederschlag fand, war in der fatalen Fehleinschätzung begründet,
dass sich deutschen Truppen, wie 1870/71 einen schnellen Sieg erringen und
spätestens Weihnachten 1914 wieder daheim sein würden.
Lebensmittel
wurden mit zunehmender Kriegsdauer knapp und teuer, weil die Versorgung der an
der Front kämpfenden Soldaten Vorrang hatte. Ein halbes Pfund Butter kostete
1918 15 Mark. Viele Händler weigerten sich, Papiergeld anzunehmen. Wenn es
etwas zu kaufen gab, wie hier bei Zorn an der Leineweberstraße, kam es zu einem
Massenansturm. Ab 1915 wurden Lebensmittelkarten für Fleisch, Brot, Kartoffeln,
Zucker und Gemüse eingeführt und ab 1916 brachen immer mehr Mülheimer mit dem
Zug oder mit dem Fahrrad zu Hamsterfahrten ins Münsterland und zum Niederrhein
auf. Außerdem kam es zu ersten Hunger- und Friedensstreiks. Im Bericht über
eine Hamsterfahrt hieß es damals in den Vaterstädtischen Blättern: „Die Fahrt
war beschwerlich und viel zu unergibig. Auf den Feldern arbeiteten französische
Kriegsgefangene. Man freute sich doch auch über das Wenige, das man bekommen
hatte.“ Im Schlachthof wurde eine Konservenfabrik und eine Gemüsedörranstalt
eingerichtet, um der Bevölkerung die Nahrungsvorsorge für den Winter zu
erleichtern. Außerdem spürten die Mülheimer die Folgen des Krieges auch daran,
dass ab 1916 ein Großteil der städtischen Gaslaternen abgeschaltet und die
Straßenbahnfahrten deutlich reduziert wurden. Auch die Friedrich-Wilhelms-Hütte
war betroffen. Weil zu viele Pferde an der Front waren, fehlten sie daheim, um
die Fuhrwerke mit Kohle zu ziehen. Folge: Nur drei von damals fünf Hochöfen
konnten befeuert werden.
Große
Angst hatten die Mülheimer nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges nicht nur vor
möglichen Spionen, sondern auch vor Luftangriffen. In einem Merkblatt der
Luftstreitkräfte hieß es damals: „Ruhe ist die erste Pflicht. Panik ist
gefährlicher als Fliegerangriff. Suche Schutz im nächsten Haus. Fort von der
Straße. Fort von Haustüre und Fenstern. Neugier ist Tod. Fehlt Häuserschutz,
dann niederwerfen in Graben oder Vertiefungen. Nachts kümmere dich um keinen
Angriff.“ Und im September 1917 ordnete das auch für Mülheim zuständige
Generalkommando in Münster eine nächtliche Verdunkelung an, um
möglichen Angreifern aus der Luft die Orientierung zu erschweren.
Obwohl es auch im Ersten Weltkrieg Luftangriffe auf deutsche, englische und belgische Städte gab und dabei allein in Deutschland 700 Zivilisten ums Leben kamen, blieb Mülheim dieses Schicksal im Ersten Weltkrieg erspart.
Kurz vor dem Waffenstillstand im November 1918 entwickelte Pläne für Luftangriffe auf das Ruhrgebiet kamen nicht mehr zur Ausführung. Im Zweiten Weltkrieg sollte die Stadt dann allerdings von rund 160 alliierten Luftangriffen getroffen werden, bei denen fast
11 000 Mülheimer ihr Leben verloren.
Obwohl es auch im Ersten Weltkrieg Luftangriffe auf deutsche, englische und belgische Städte gab und dabei allein in Deutschland 700 Zivilisten ums Leben kamen, blieb Mülheim dieses Schicksal im Ersten Weltkrieg erspart.
Kurz vor dem Waffenstillstand im November 1918 entwickelte Pläne für Luftangriffe auf das Ruhrgebiet kamen nicht mehr zur Ausführung. Im Zweiten Weltkrieg sollte die Stadt dann allerdings von rund 160 alliierten Luftangriffen getroffen werden, bei denen fast
11 000 Mülheimer ihr Leben verloren.
Die
Soldaten des Infanterieregimentes 159, die während des Ersten Weltkrieges in
Belgien und Frankreich kämpften, genossen in Mülheim, das seit 1899
Garnisonsstadt war, ein hohes Ansehen. Veteranen bekamen nicht nur eine
staatliche, sondern auch eine städtische Rente. Als das Regiment am 13.
Dezember 1918 nach Mülheim zurückkehrte, wurde die Stadt bereits von
Arbeiterräten regiert. 1920 musste das Regiment die Stadt verlassen, weil das
Ruhrgebiet von den Alliierten entmilitarisiert wurde. Weil viele 159er die
deutsche Kriegsniederlage nicht akzeptieren wollten und an die von deutschnationalen
Kreisen verbreitete „ Dolchstoßlegende “ glaubten, wonach das deutsche Heer
1918 im Felde unbesiegt geblieben und nur durch die fehlende Unterstützung der
politischen Führung zur Aufgabe gezwungen worden sei, schlossen sie sich einem
bis zu 1000 Mann starken rechtsextremen Freikorps an, der von ihrem
Kommandanten Hauptmann Siegfried Schulz (1870-1942) geführt wurde und bei der
Bekämpfung von Massenstreiks gegen den Kapp-Putsch (1920) und im Ruhrkampf
gegen die französische Besatzung (1923) eine blutige Rolle spielen sollte.
Ihren
Patriotismus dokumentierten die Mülheimer nicht nur, wie hier auf dem Foto oben
zu sehen, mit der Enthüllung einer Kaiser-Wilhelm-Büste, die im September 1915
ausgerechnet vor dem Lazarett an der Dimbeck aufgestellt wurde, sondern auch,
in dem sie ihr Geld in Kriegsanleihen
investierten. 1917 hieß es in einem Werbeaufruf für eine solche Kriegsanleihe:
„Deutschland darf nicht rasten oder rosten und der Krieg verursacht Kosten.
Rings von blödem Hass umfaucht, wild bedroht von aller Welt, wehrt sich Michel
und er braucht Geld, Geld, Geld!“ Dass mit dem Kriegsbedarf und dem Appell an
den Patriotismus auch Geld verdient wurde, zeigt auch diese Zeitungsanzeige des
Kaufhauses Harmonia, das sich damals am Löhberg/Ecke Wallstraße befand und
seine Hemden, Jacken, Handschuhe, Unterkleider, Socken, Leibbinden und
Fußlappen „enorm billig“ in Fünf-Kilo-Paketen als versandfertige „Liebesgaben“
für die Soldaten an der Front pries. Auch Werbeanzeigen für damals oft
getragene Trauerhüte hat Hans-Werner Nierhaus in der Lokalpresse der
Kriegsjahre 1914 bis 1918 gefunden.
3500
Mülheimer verloren als Soldaten im Ersten Weltkrieg ihr Leben. „Die ersten Todesanzeigen für gefallene
Soldaten, die ab dem Spätsommer 1914 in der Mülheimer Presse erschienen,
klangen noch sehr patriotisch. Doch das änderte sich mit der zunehmenden Zahl
der Gefallenen. Ab 1915 wurde auch in der Presse zunehmend die Frage
aufgeworfen, wann der Krieg zu Ende und wieder Frieden sein könne“, sagt der
Lokalhistoriker Hans-Werner Nierhaus. „Er starb für Gott, Kaiser und
Vaterland den Heldentod“, zitiert Nierhaus aus einer Todesanzeige von Ende 1914. Sehr viel
nüchterner liest sich die Todesanzeige der Familie Fuglsang aus dem November
1915: „Unser lieber Sohn Hans beim 11. Husaren-Regiment hat bei der
Erstürmung eines Schützengrabens als erster bei Rembov zwischen Gostynin und
Lupien einen Kopfschuss erhalten und war sofort tot. Wir danken dem lieben
Gott für ein rasches Ende ohne Leiden und geben dem Vaterland das beste, was
wir haben“.
Das Elend, zu dem der Krieg an allen Fronten führte, wurde vor allem durch die verwundeten Soldaten deutlich, die mit Mülheimer Straßenbahnen transportiert und in einem Lazarett an der Dimbeck, im katholischen und evangelischen Krankenhaus der Stadt behandelt wurden. |
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