Freitag, 19. Juli 2013

30 Jahre Wohnstift Raadt: Ein Altenheim im demografischen Wandel

30 Jahre Wohnstift Raadt. Das wurde am 6. Juli mit einem informativen, unterhaltsamen und geselligen Tag der offenen Tür an der Parsevalstraße gefeiert. Doch eigentlich begann die Geschichte des Altenheimes am Rande der Stadt schon vor fast 70 Jahren und das mit einer Hausbesetzung.


„Verantwortlich dafür war die sehr resolute Oberin, Auguste Schriever, des im Krieg zerstörten Evangelischen Versorgungshauses. Denn sie suchte für dessen betagte Bewohner eine neue Bleibe und fand diese in der alten Fliegerschule an der Parsevalstraße“, berichtet der ehemalige Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses, Volkmar Spira.

Er war es, der vor 30 Jahren zusammen mit dem Architekten Aribert Riege den rund 8,5 Millionen Euro teuren Bau des heutigen Wohnstiftes managte, in dem heute 104 Bewohner von 40 Pflegekräften betreut werden. Damals genügte die alte Fliegerschule mit ihren Mehrbettzimmern und einem gemeinsamen Speisesaal nicht mehr den modernen Ansprüchen an ein Altenheim. „Wir haben damals zwar darüber nachgedacht, ob wir nicht lieber in der Innenstadt bauen sollten, haben uns dann aber doch für die grüne Randlage in Raadt entschieden, weil das von den damaligen Bewohnern auch so gewünscht wurde“, erinnert sich Spira.

Von außen betrachtet wirkt das Wohnstift Raadt wie ein großer Bungalow im Grünen. Aus der Vogelperspektive sieht das Altenheim, unter dessen Dach drei Pflegebereiche mit Wohn- Speise und Veranstaltungsräumen untergebracht sind, wie ein großes Dreieck. Dem Altenheim vorgelagert ist eine 1984 fertiggestellte Wohnanlage mit 17 Seniorenapartments.

„Die Bewohner sind heute in aller Regel sehr viel kränker und auch in ihrer Beweglichkeit eingeschränkter als früher“, beschreiben Einrichtungsleiter Andreas Rost und Doris Baumers vom Sozialen Dienst des zum Evangelischen Krankenhaus und der Ategris gehörenden Altenheimes den sichtbarsten Wandel der Zeit.

„Früher zogen hier schon viele Senioren mit Ende 60 ein. Die fuhren zweimal pro Tag in die Stadt und im Sommer fuhren wir mit Bewohnern für eine Woche in den Urlaub“, erinnert sich Baumers an die Zeit, als sie vor 29 Jahren als leitende Pflegedienstmitarbeiterin in das damals noch neue Wohnstift kam. Das hatte damals nicht nur eine Kegelbahn, die auch heute noch genutzt wird, sondern auch ein Schwimmbad. Weil die meisten Bewohner heute nicht mehr so fit sind, dass sie selbstständig ein Schwimmbad nutzen könnten, wurde dieser Bereich im Zuge des jüngsten Umbaus, der nach drei Jahren 2012 abgeschlossen werden konnte, für die Einrichtung neuer Zimmer genutzt. Nach dem drei Millionen Euro teuren Umbau sind 85 Prozent aller Zimmer Einzelzimmer. Außerdem konnten auch neue Küchen und Gemeinschaftsräume in den Wohnbereichen eingerichtet werden.

„Es gibt aber auch Bewohner, die ein Zweibettzimmer wünschen, weil sie sich mit einem Mitbewohner sicherer und weniger hilflos fühlen“, weiß Doris Baumers, die heute mit vier Kollegen des Sozialen Dienstes dafür sorgt, dass die Bewohner sich nicht langweilen und wenn nötig „aus ihrer Lethargie herausgeholt werden.“

Das Spektrum der gemeinsamen Aktivitäten reicht heute vom Zoo-Besuch bis zur Kochgruppe, vom gemeinsamen Singen und Vorlesen, gerne auch mit Schulkindern oder der von Spira geleiteten Kleinen Bühne bis hin zum Bingo-Spiel oder einem geselligen Frühschoppen, der als Buttermilchrunde daherkommt. „Unsere Gottesdienste werden übrigens auch von jungen Familien aus der Flughafensiedlung besucht“, freut sich Baumers über generationsübergreifende Begegnungen. Die Sozialdienstmitarbeiterin erlebt immer wieder, „dass viele Senioren, die lange alleine gelebt haben und in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, aufleben, wenn sie ins Altenheim kommen, weil sie hier nicht mehr einsam sind, sondern Ansprechpartner finden, mit denen sie sich unterhalten oder eine Runde ums Haus drehen können.“

Wenn Spira vom Garten des Wohnstiftes aus auf die angrenzenden Felder und in das nahe Rumbachtal schaut, hat er das Gefühl, „dass man hier, den Einschränkungen des Alters angepasst, so wohnen kann, wie man gerne wohnt, nämlich im Grünen und so mobil wie eben möglich.“ Doch er räumt mit Blick auf die Kontroverse um die Linie 104 auch ein; „Über die Straßenbahnanbindung hat vor 30 Jahren noch keiner diskutiert.“

Wie sich Pflege verändert hat


„Wir hatten früher mehr Zeit für die Bewohner“, räumt Doris Baumers ein. Gab es vor 30 Jahren nur einen Wohnbereich mit Schwerstpflegebedürftigen, so müssen heute in allen drei Wohnbereichen des Hauses Schwerstpflegebedürftige betreut werden. Der Leiter des Wohnstiftes, Andreas Rost, schätzt, dass heute rund 70 Prozent der Bewohner demenziell verändert sind. „Die Pflegeversicherung hat viel verändert. Heute gilt ambulant vor stationär. Und wenn früher eine dicke Kladde für das ganze Haus reichte, so hat heute jeder Bewohner seine eigene Akte“, beschreibt Rost den Wandel des Pflegealltags. Spira, Rost und Baumers sind sich einig, dass die Pflege keine ausreichende Lobby hat und unsere Gesellschaft noch nicht bereit ist, den tatsächlichen Preis für eine gute Pflege in einer alternden Gesellschaft zu bezahlen.


Je nach Pflegestufe kostet ein Pflegeplatz im Wohnstift Raadt zwischen 2000 und 4000 Euro pro Monat

Dieser Text erschien am 2. Juli 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung

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