Freitag, 12. Juli 2013

Wie der seit 1960 in Mülheim lebende Ägypter Sayed Siam die politische Entwicklung in seiner alten Heimat sieht

Als Ägypter in Mülheim verfolgt Sayed Siam die politische Krise in seiner alten Heimat mit besonderer Anteilnahme. „Ich telefoniere täglich mit meinen Verwandten in Kairo und Alexandria. Dabei stelle ich fest, dass der Riss zwischen den Anhängern und den Gegnern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi auch durch meine eigene Familie geht“, berichtet Siam, der vor 70 Jahren in Kairo geboren wurde und 1960 nach Mülheim kam, wo er später als Maschinenbauer bei Siemens arbeitete. „Ich habe bei der Stichwahl vor einem Jahr auch Mohammed Mursi gewählt, weil er mir im Vergleich zu seinem Gegenkandidaten, General Ahmad Muhammad Schafiq, als das kleinere Übel erschien. Aber jetzt fühle ich mich betrogen und will meine Stimme wieder haben“, sagt Siam, der sich unter anderem in der Islamischen Gemeinde, im Friedensforum bei der Mülheimer Initiative für Toleranz, in der SPD und im Bündnis der Religionen engagiert.


Mursi hat aus Siams Sicht seinen Wahlsieg vom Juni 2012 verspielt, weil er sich allein auf die Muslimbrüder gestützt und deren politische Ziele verfolgt habe statt als Präsident aller Ägypter auch auf andere gesellschaftliche und religiöse Gruppen zuzugehen. So habe sich der jetzt abgesetzte Präsident mit Militär und Justiz angelegt, um seine eigene Macht auszubauen. Seine Dekrete für juristisch unanfechtbar zu erklären und einen ehemaligen Terroristen zum Gouverneur von Luxor zu ernennen, haben Mursi in Siams Augen ebenso deskreditiert, wie die Tatsache, dass seinen vollmundigen Wahlkampfversprechen keine Taten gefolgt sind. Wenn Siam mit seinen Verwandten in Ägypten telefoniert, hört er zum Beispiel von steigenden Preisen, steigender Arbeitslosigkeit, Strom- und Wasserausfällen oder von einer nicht funktionierenden Müllabfuhr. Deshalb kann der Ägypter aus Mülheim die Massenproteste nachvollziehen, die zum Eingreifen des Militärs und zum Sturz Mursi geführt haben.

Siam ist dankbar dafür, dass seine Verwandten in Ägypten die bisherigen Unruhen in Kairo und Alexandria unbeschadet überstanden haben. Er hofft und glaubt, dass Ägypten das Bürgerkriegsschicksal Libyiens und Syriens erspart bleibt, wenn jetzt eine fähige Expertregierung gebildet wird, die den Übergang zu einer von allen Ägyptern getragenen Verfassung und zu demokratischen Neuwahlen organisiert. Siam hat keinen Zweifel daran, dass die Muslimbrüder nach ihrem eindeutigen politischen Versagen dann wesentlich weniger Stimmen bekommen werden als noch 2012.

„Ägypten ist kein armes Land. Wir haben genug Menschen und Rohstoffe“, blickt Siam in die Zukunft. Der 70-Jährige hofft darauf, dass ein politischer Generationswechsel Ägypten langfristig zu einer stabilen Demokratie machen wird, nachdem vor allem die Jugend im Frühjahr 2011 und jetzt für eine politische Wende gesorgt hat.

Dieser Text erschien am 8. Juli 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung

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