Dabei darf nicht übersehen werden: Niedergelassene Ärzte können strafrechtlich gesehen gar nicht korrupt sein, weil sie, anders als Amts- Krankenkassen- oder Klinikärzte, nicht fest angestellt und deshalb keine Amtsträger sind. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) sorgte im März 2012 für Wirbel und zeigte eine Lücke im Strafrecht auf. In dem Verfahren ging es um eine Pharmareferentin, die einem Arzt ein Honorar angeboten hatte, falls der Medikamente ihres Unternehmens verschreibe.
Das BGH-Urteil hat bereits politische Folgen. Gleich zwei Mülheimer Politikerinnen sind mit der Materie befasst, Barbara Steffens (Grüne) als NRW-Gesundheitsministerin und FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Dort prüft man zurzeit, wo und wie Lücken im Strafrecht zu schließen sind. Doch Flach warnt davor, an der Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte zu rütteln und „einen ganzen Berufsstand zu diffamieren.“ Sie weist auf die 2012 vorgenommene Verschärfung des Sozial- und Berufsrechtes hin. Danach können Ärzte für Vorteilnahme mit Bußgeldern von bis zu 50?000 Euro und mit dem Entzug ihrer Zulassung bestraft werden.
Für Steffens steht fest, dass jeder Fall ärztlicher Korruption „ein Fall zu viel ist“ und ein entsprechendes Fehlverhalten bei freiberuflichen wie festangestellten Ärzten gleichermaßen strafrechtlich geahndet werden müsse.
Auch wenn Norbert Misiak von der Barmer Ersatzkasse und Roland Angenvoort von der AOK aus ihrer lokalen Praxis keinen ärztlichen Korruptionsfall kennen, sehen auch sie politischen und rechtlichen Handlungsbedarf. „Man muss verhindern, dass eine Grauzone entsteht“, sagt Misiak. AOK-Kollege Angenvoort möchte vor allem die Ermittlungs- und Sanktionsinstrumente der Ärztekammern und Berufsgerichte gestärkt wissen. Für Ärzte gelten in seinen Augen „besonders hohe Maßstäbe, weil sie mit ihren Verordnungen auch Kaufentscheidungen für die Patienten treffen.“
Und da setzen manche Versuchungen immer noch an. Wer sich mit Ärzten unterhält, hört von Angeboten für honorierte Anwendungsbögen, für bezahlte Fortbildungen oder gut dotierte, angebliche Expertenforen. Im März 2012 machte der Chef der Mülheimer Ärztekammer, Uwe Brock, eine solche Einladung zu einer mit 300 Euro bezahlten Fortbildung als „versuchte Korruption“ öffentlich.
Brock und seine Kollege, der Kardiologe Ralf Lange, können sich an Zeiten erinnern, in denen sie regelmäßig zu „Fortbildungen an attraktiven Orten“ eingeladen wurden, „bei denen opulent aufgetischt wurde.“ Doch diese offenkundig anrüchigen Zeiten, so sagen sie, sind vorbei. Heute bekommen Brock und sein Hausarztkollege Peter Ramme aber immerhin auch noch, wenn sie wollten, einmal pro Tag Besuch von einem Pharmareferenten. Der Kardiologe Ralf Lange empfängt nur einmal pro Monat einen Pharmareferenten, und auch nur dann, „wenn es sich wirklich um ein neues Medikament handelt.“ Seine Haltung, schätzt er, ist den Pharmafirmen inzwischen bekannt. „Da kommen erheblich weniger Anfragen.“
Brock schätzt, dass die Besuche von Pharmareferenten in den letzten fünf Jahren um 75 Prozent zurückgegangen sind. „Wenn ich früher pro Jahr sieben Angebote für honorierte Anwendungsbögen bekam, dann sind es heute vielleicht noch drei“, berichtet Ramme. Auf diesen Bögen geben Ärzte an, bei welcher Erkrankung sie welches Medikament mit welchem Erfolg verschrieben haben. Der Lohn: bis zu 15 Euro pro Bogen. Der Nutzen: fraglich. Sein Kollege Brock und er führen den Rückgang solcher und ähnlicher Offerten der Pharmaindustrie vor allem auf die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen zurück, die seit gut sechs Jahren den finanziellen Spielraum der Industrie stark eingeschränkt haben.
Brock blockt das Gespräch mit Pharmareferenten immer dann ab, wenn er merkt, dass der medizinische Pfad verlassen wird und stattdessen von Hobbys und Familie die Rede ist, um Vorlieben des Arztes herauszufinden, die man bedienen könnte. Was im Umkehrschluss eben auch heißt: Die Pharmaindustrie versucht es immer noch, ihre Produkte über mehr als Preis und Leistung an den Mann zu bringen.
Eine andere Methode der Pharmawerbung sind kostenlose Probepackungen. Ramme schätzt, dass pro Jahr etwa 100 solche Medikamente in seinem Arztschrank landen. Damit hat er aber kein Problem und fühlt sich als Arzt nicht beeinflusst, „weil ja auch die ärztliche Verordnungspraxis durch die Rabattverträge beschränkt wird und wir die Probepackungen unentgeltlich an unsere Patienten weitergeben und damit auch das Geld der Krankenkassen und Versicherten sparen.“
Auch mit Plastikkugelschreibern, Schokolade oder Gummibärchen oder der Patienten-Flasche Wein zu Weihnachten haben Brock, Ramme und Lange kein Problem. „Aber alles, was über den Wert von 50 Euro hinausgeht, ist außerhalb jeder Diskussion“, betont Brock. Und für den Kardiologen Lange steht außer Frage, dass Kollegen, die gegen Honorar bei Operationen nur Herzklappen bestimmter Hersteller verwenden, auch strafrechtlich belangt werden müssen. Seine Kollegen Brock und Ramme können sich vorstellen, dass Ärzte dazu verpflichtet werden, ähnlich wie Bundestagsabgeordnete, Zuwendungen von Pharmafirmen veröffentlichen zu müssen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen