Donnerstag, 15. November 2012

Was uns die Sportjournalistin und Autorin Evi Simeoni mit ihrem Roman "Schlagmann" über das zu sagen hat, was in unserer Gesellschaft aus dem Ruder läuft

Ein Tabu ist es nicht, viele Worte werden aber um Magersucht auch nicht gemacht. Evi Simeoni macht das anders. Ihr Roman „Schlagmann“ (siehe Kasten), den sie am 14. November in Saarn vorstellt hat, zeigt am Beispiel eines Hochleistungsruderers, der sich mit seiner Magersucht ums Leben bringt, wie leicht das Leben aus dem Ruder laufen kann. Dabei sieht sie den Leistungssport „nur als Essenz und Bild“ für eine zunehmend „gefährliche Grenzüberschreitung seelischer und körperlicher Belastungsgrenzen und einer Selbstinstrumentalisierung, die die Betroffenen von ihren eigenen Gefühlen abschneidet.“ Das, sagt Simeoni, kann man auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen finden. Auch in Mülheim.


Die Diplom-Psychologin und Therapeutin Ulrike Weihrauch, die bei der Fachstelle für Suchtvorbeugung Ginko an der Kaiserstraße 90 magersüchtige Jugendliche und junge Erwachsene und deren Angehörige berät und begleitet, bestätigt, dass sich der Trend zur Magersucht in den letzten Jahren verschärft hat. Sie schätzt, dass pro Jahr etwa 20 bis 30 junge Frauen und etwa zwei bis drei junge Männer zu ihr kommen, die eine Magersucht entwickelt haben „und bei denen der Blick auf die Waage bestimmt, wie der Tag wird.“

Warum machen sich gerade junge Menschen, die noch mitten in der Persönlichkeitsentwicklung stecken, dünn und werden magersüchtig?

Weihrauch begegnet immer wieder Menschen, die perfekt, schön und leistungsstark sein möchten, „damit mich alle mögen“ und die Probleme damit haben, „Gefühle auszudrücken.“

Ähnlich wie Simeoni hat auch Weihrauch die Erfahrung gemacht, dass der zunehmende Leistungsdruck, schlank, schön, stark und erfolgreich zu sein, wie man ihn nicht nur im Sport, sondern auch in Elternhäusern, Schulen und an Arbeitsplätzen finden kann, Menschen mit einer selbstzerstörerischen Magersucht anziehe und es ihnen leicht mache, mit ihrer autoagressiven Persönlichkeitsstörung oft viel zu lange unentdeckt zu bleiben.

Auch TV-Shows, die das Top-Model suchen und so ein unrealistisches Schönheitsideal propagierten, sind Weihrauch ein Dorn im Auge.

„Man sollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und Betroffenen sagen: Du hast eine Essstörung. Sondern mit ihnen die Veränderungen besprechen, die man wahrgenommen hat und zum Ausdruck bringen, dass man sich Sorgen um sie macht“, rät die Ginko-Beraterin Angehörigen, Freunden, Kollegen, Lehrern, Mitschülern oder Trainern von Magersüchtigen. Wenn Menschen ihr Leistung steigern, aber immer weniger essen und sogar Essen verstecken, sollten die Alarmglocken läuten.

Der Chef-Psychiater des St. Marien-Hospitals, Rudolf Groß, sieht Magersucht als „eine Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörung, die Folge gesellschaftlicher Rollenerwartungen, familiärer Probleme sowie eines falschen Körperbildes und einer Identitätsschwäche sein kann und in der Regel heute vor allem verhaltenstherapeutisch behandelt wird.“ Wenn die hausärztliche oder psychotherapeutische Hilfe nicht mehr ausreicht, um magersüchtigen Patienten wieder Appetit auf ihr Essen, ihre Persönlichkeit und ihr Leben zu machen, dann könne ein Klinikaufenthalt der letzte Ausweg zurück ins Leben sein. Der führt dann aber nur in Einzelfällen in die beiden Mülheimer Krankenhäuser und in der Regel in auswärtige Fachkliniken und Fachabteilungen, wie sich eine zum Beispiel an der Universitätsklinik in Essen findet.

Die Autorin und ihr Buch

Die mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnete Sportjournalistin Evi Simeoni wurde 1958 in Stuttgart geboren und arbeitet seit 1981 als Redakteurin und Reporterin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Fall des Ruderers Bahne Rabe, der 1988 als Schlagmann des Deutschlandachters Olympiasieger und 1991 im Vierer mit Steuermann Weltmeister wurde, hat sie als Mensch und Journalistin bewegt und beschäftigt und jetzt zu ihrem ersten Roman “Schlagmann“ inspiriert, den sie am morgigen Mittwoch, 14. November, um 19.30 Uhr in der Saarner Buchhandlung Hilberath & Lange an der Düsseldorfer Straße 111 vorstellen wird. Erzählt wird die Geschichte des Hochleistungsruderers Arne, der sich, wie Bahne Rabe (1963-2001) letztlich durch seine Magersucht zugrunde richtet: „Die Beschäftigung mit dem Thema hat meinen Blick auf den Leistungssport verändert und mir gezeigt, dass glücklich sein und Erfolg haben nicht unbedingt zwei Seiten derselben Medaille sind“, sagt Simeoni.

Dieser Text erschien am 13. November 2012 in der Neuen Ruhr Zeitung


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