Donnerstag, 15. November 2012

Eine Stadt geht baden: Auch 100 Jahre nach seiner Eröffnung und 14 Jahre nach seiner Schließung hat uns die Geschichte des alten Stadtbades noch viel zu sagen

Vor 100 Jahren gingen die Mülheimer zum ersten Mal im Stadtbad baden. Nicht, dass sie nicht schon früher baden gegangen wären, dann aber meistens privat oder direkt in der Ruhr. Damals stand der Stadt das Wasser noch nicht bis zum Hals. Eine Geldspritze der Gebrüder Thyssen und der Sparkasse machten den Badespaß im neuen Stadtbad an der Ruhr möglich. Hier lernten Generationen, sich abzustrampeln und über Wasser zu halten, auch in Zeiten, in denen manches den Bach herunterging.

Inzwischen will die Stadt das Süd- und Nordbad sowie das Schwimmbecken der Schule an der Rembergstraße ab 2013 Sportvereinen übergeben, um sich finanziell zu entlasten, während das Friedrich-Wennmann-Bad in heißen allein der Öffentlichkeit vorbehalten bleiben soll. Weil die Stadt auch schon 1998 finanziell ins Schwimmen kam, gab sie den Badebetrieb im inzwischen alten Stadtbad auf.

Dass bedeutet natürlich nicht, dass man heute und gerade in diesen Sommertagen, in Mülheim nicht baden gehen könnte, wenn man es denn unbedingt will. 74?350 Badegäste wollten es in diesem Jahr bisher allein im Südbad, 89.650 im Friedrich-Wennmann-Bad und 11.700 im Naturbad.

Im alten Stadtbad, wo einst schön und gerne gebadet wurde, wird heute schön und gerne gewohnt, wobei mancher mit Blick auf die künftige Ruhrpromenade hofft, dass die Stadt finanziell nicht baden geht. Fest steht, dass wir uns auch in Zukunft wohl kräftig abstrampeln und über Wasser halten müssen. Dafür kann der Besuch im Schwimmbad ein gutes Konditionstraining sein. Gehen wir also ruhig mal wieder baden. Es muss ja nicht gleich im übertragenen Sinne sein.

Wo heute ganz privat mit Ruhrblick gewohnt wird, wurde noch vor 14 Jahren ganz öffentlich geschwommen. Das alte Stadtbad, wurde vor 100 Jahren mit Geldern von August und Joseph Thyssen sowie mit Überschüssen der Sparkasse gebaut. Das Bad kostete am Ende eine Million Goldmark und war für Mülheim ein Meilenstein.

Denn vor seiner Errichtung konnten die Mölmschen nur in der Ruhr baden oder ein öffentliches Brause- und Wannenbad aufsuchen. Entsprechend überschwänglich feierte der Mülheimer Generalanzeiger anno 1912 das neue Stadtbad, das er als „einen Spielplatz der Lebensfreude“ pries: „auf dem die Schönheit des menschlichen Körpers wetteifert mit Wagemut und Entschlossenheit.“

In einer Zeit, in der ein eigenes Badezimmer Luxus war, war das Stadtbad nicht nur in den Augen der Lokalpresse ein wichtiger Beitrag zur Volksgesundheit und damit von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Wohl auch deshalb engagierten sich die Industriellen August und Joseph Thyssen für den Bau des Bades, über das der Generalanzeiger schrieb: „Wir weisen dem Bad eine ethische, kulturelle und soziale Aufgabe zu. Solche Aufgaben kann es nur erfüllen, wenn es selbst ein künstlerisches Gepräge trägt, dass seiner Bedeutung angemessen ist.“ Das Blatt meinte mit Blick auf das Stadtbad: „Hier in Mülheim ist diese Forderung auf glückliche Weise erfüllt worden. Die städtische Badeanstalt erfüllt alle berechtigten Erwartungen. Sie ist eine Zierde für das Stadtbild und wird für die Bürger ein Hort der Gesundheit werden.“

Tatsächlich wurde, das alte Stadtbad, als es noch neu war, zu einem Publikumsmagneten. Schon im ersten Jahr zählte man weit über 15.000 Badegäste. Mit der Eröffnung der Stadthalle im Jahr 1926 erhielt das repräsentative Stadtbad mit seinen Arkaden auf der anderen Ruhrseite eine große Schwester. Mit ihr zusammen begründete es Mülheim damaligen Ruf eines Ruhrvenedigs. Nach der ersten Modernisierung des Jahres 1938 kamen 1943 die Bomben des Krieges. Doch das Stadtbad, in dessen beiden Schwimmhallen Männer und Frauen bis in die 60er Jahre getrennt voneinander baden gingen, wurde in den 50er und 60er Jahren mit Millionen-Investitionen wieder auf- und ausgebaut.

Doch ab Mitte der 60er Jahre bekam das alte Stadtbad mit dem neuen Südbad an der Kaiserstraße eine nahe und moderne Konkurrenz. Hier fand man wettkampftaugliche 25-Meter-Bahnen. Dennoch blieb der Badespaß im kleineren aber zentraleren Stadtbad bei vielen Mülheimer begehrt.

Umso größer waren die Proteste, als sich die schwarz-grüne Ratsmehrheit, angesichts eines Sanierungsbedarfes von 15,5 Millionen Mark und eines jährlichen Zuschussbedarfes von 1,9 Millionen Mark 1998 dazu entschloss, das Stadtbad zu schließen.

Frustrierte Badegäste ließen sich in der Lokalpresse damals mit Sätzen, wie: „Wenn das Bad dichtgemacht wird, ist ein Stück Mülheim tot“ zitieren. Und der Sozialverband VDK sprach damals von „einem Schlag ins Gesicht der Behinderten und Senioren.“ Wer nach 1998 zum Stadtbad ging, ging nicht mehr baden, sondern ins Kino Rio oder zum städtischen Kulturbetrieb, der damals noch mit Blick auf die Ruhr arbeiten durfte, ehe Ruhrbania 2007 aus dem öffentlichen Gebäude ein privates Wohnhaus werden ließ.

Dieser Text erschien am 8. März 2012 in der NRZ

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