Freitag, 15. Dezember 2023

Als der Krieg zu Ende war

 Zum 8. Mai 2005 konnte ich für die Mülheimer Tagespresse ein Zeitzeugenumfrage zum Kriegsende am 8. Mai 1945 machen. Auch wenn die Menschen, die ich damals befragen konnte, heute nicht mehr unt er uns sind, bleiben ihre Erinnerungen als zeitlos aktuelle Zeitzeugnisse in einer Zeit, in der Krieg leider immer noch auf der weltpolitischen Tagesordnung steht und kein Phänomen von gestern ist.

Elli Küppers (*1920): „Wir waren alle froh, dass es vorbei war. Das Kriegsende erlebte ich nicht zuhause in Styrum, sondern im Teutoburger Wald. Dorthin war meine Familie bereits Ende März 1945 evakuiert worden. Ich erinnere mich noch genau daran, dass wir in die gute Stube einer Familie in Pivitsheide bei Detmold einquartiert worden waren. Weil die eigenen Lebensmittelkarten nicht anerkannt wurden, mussten wir bei Bauern um Brot bitten. Dass der Krieg zu Ende war, merkte ich, als ich mit einer Freundin zum Hermannsdenkmal wanderte und plötzlich Zwangsarbeiter auftauchten.“

Wilhelm Janßen (*1924): „Ich hatte die Nase voll vom Krieg. Ich erlebte das Kriegsende als Kriegsgefangener im alliierten Wiesenlager von Rheinberg. Meine letzten Kriegstage hatte ich als Eisenbahn-Flakhelfer er lebt. Die Nächte im Rheinberger Wiesenlager waren kalt und wir mussten unter freiem Himmel in einem nur bedingt wetterfesten Zehn-Mann-Zelt schlafen. Ich hatte Glück im Unglück, weil ich für die Alliierten zwischenzeitlich Küchendienst schieben und als gelernter Elektriker Maschinen reparieren musste. So konnte ich dem  harten Lageralltag immer wieder entfliehen. Am 8. Mai 1945 flog eine US-Maschine über das Lager und warf Flugblätter ab. Und plötzlich war überall der Ruf zu hören: Der Krieg ist aus. Wirklich vorbei war der Krieg für mich aber erst am 6. Juni 1945; als mich ein amerikanischer Lastwagen auf der Mülheimer Rathausmarkt absetzte. Einen Monat später wurde ich in einem Kino an der Schloßstraße dann zum ersten Mal mit den Bildern aus einem Konzentrationslager konfrontiert.“

Werner Dreesen (*1921): „Kurz vor Kriegsende habe ich mich selbst aus der Wehrmacht entlassen. Ich war schon wieder in Mülheim, als mich ein amerikanischer Straßenposten gefangen nahm und nach Rheinberg brachte. Dort haben wir in einem Wiesenlager in Erdlöchern krank und hungrig kampiert. Das war das Schlimmste, an das ich mich erinnernen kann.“

Heinz Schemkes (*1927) „Ich erlebte die letzten Kriegstage als Angehöriger des Reichsarbeitsdienstes im Hunsrück. Dort geriet ich in Gefangenschaft und wurde nach Frankreich gebracht. Im Lager von Toray la Fleche erfuhr ich am 8. Mai 1945 von der Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Wir haben gejubelt und uns gesagt: Hoffentlich kommen wir jetzt bald wieder nach Hause. Und dann hat irgendjemand die deutsche Nationalhymne angestimmt.

Hans Joachim Neuhaus (*1929): „Das Kriegsende habe ich mit meiner Mutter in Daspe an der Weser erlebt. Wenige Wochen zuvor hatte ich als junger Luftwaffenhelfer bei einem Tieffliegerangriff einen Arm verloren. Weil meine Mutter damals dort als Sekretärin des Bürgermeisters arbeitete und ich der englischen Sprache mächtig war, wurde mir die unerwartete Aufgabe übertragen, das Dorf an die einrückenden US-Truppen zu übergeben. Ich bin mit einem weißen Taschentuch den Amerikanern mit einem weißen Taschentuch entgegengegangen,  um meine Friedfertigkeit zu zeigen.“

Margarete Pferdmenges (*1923): „Mein Vater Edwin Hasenjäger war damals Mülheimer Oberbürgermeister. Das Kriegsende erlebte ich in Oerlinghausen in der Nähe von Bielefeld. Dort lebte meine Schwägerin. Drei Ereignisse aus der Zeit des Kriegsendes sind mir besonders in Erinnerung geblieben: Der Schrei der Erleichterung, den meine Mutter ausstieß, als mein Bruder Gisbert heimkehrte, der ebenso wie der 1943 in Russland gefallene Bruder Günther Soldat gewesen war sowie das Glück, das mein damals gerade ein Jahr alter Sohn Günther unverletzt blieb, nachdem ein Gewehrschuss der einmarschierenden Amerikaner das Küchenfenster durchschlagen und die Glasscherben in den darunter stehenden Kinderwagen geregnet waren. Und schließlich ist mir der amerikanische Militärpolizist unvergessen geblieben, der während des Mittagessens ins Haus kam, sich wie selbstverständlich eine Flasche Wein aus der Vorratskammer holte und dann der Familie zum Abschied noch einen guten Appetit wünschte.“

Dr. Hans Fischer (*1931):“Ich erlebte das Kriegsende als dreizehnjähriger Schüler in Bayrisch Eisenstein. Dort kampierte ich mit Mitschülern auf Strohballen in einem ehemaligen Kinosaal, als sich plötzlich wie eine Mund-zu-Mund-Propaganda die Nachricht vom Frieden ausbreitete. Bayrisch Eisenstein war für mich und meine erschöpften Altersgenossen nur eine Etappe auf dem langen Weg aus der Kinderlandverschickung in Böhmen und Mähren zurück nach Mülheim.


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