Dienstag, 14. November 2023

Aktuelle Erinnerung

 85 Jahre nach der Reichspogromnacht war es besonders vielen Menschen in Mülheim ein Bedürfnis sich auf dem Platz der ehemaligen Synagoge zu versammeln. Unter ihnen war auch der 1936 geborene Holocaust-Überlebende und 2021 ernannte Mülheimer Ehrenbürger Jacques Marx. Mit seiner Mutter hatte er sich während der NS-Zeit in französischen Wäldern versteckt, um der Ermordung zu entgehen. Rabbiner David Moshe Geballe schloss in sein Gebet für die Holocaust-Opfer auch jene 1250 Menschen mit ein, die am 7. Oktober 2023 in Israel von den radikalislamischen Terroristen der Hamas ermordet worden sind. "Seit dem Ende des Holocaust sind noch nie so viele jüdische Menschen ermordet worden, wie am 7. Oktober", schlug Oberbürgermeister Marc Buchholz eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. "Nie wieder ist jetzt", sagte er mit Blick auf die "Menschen, die unsere Meinungsfreiheit missbrauchen, um auf unseren Straßen antisemitische Parolen zu rufen und den Terror der Hamas zu feiern." Ihnen, so Buchholz: "müssen wir entschieden entgegentreten, um unsere Demokratie vor Schaden zu bewahren." Für den Stadtdechanten Michael Janßen führt nur ein Weg zum Frieden, ob in Nahost oder bei uns: "Reden, Reden, Reden!!!" 

Besonders bereichert wurde die Gedenkveranstaltung vor dem Medienhaus von Jugendlichen der Gustav-Heinemannschule. Sie zeigten historische Fotos der 1907 eingeweihten und 1938 niedergebrannten Synagoge. Sie lasen ein Gedicht und Zeitzeugenberichte aus der Reichspogromnacht vom 8. auf den 9, November 1938. In dieser Nacht erreichte die seit 1933 staatlich gelenkte Judenverfolgung einen weiteren traurigen Höhepunkt. Nicht nur die Synagoge, die die Jüdische Gemeinde bereits im Oktober 1938, weit unter Wert an die Stadtsparkasse verkauft hatte, wurde niedergebrannt. Der braune Mob misshandelte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Er zerstörte ihre Geschäfte und Wohnungen. Allein in dieser Nacht wurden 80 jüdische Mülheimerinnen und Mülheimer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. 

Besonders perfide: Den in Mülheim verbliebenen Jüdinnen und Juden wurde eine sogenannte Sühnesteuer auferlegt, mit deren Ertrag die Schäden der Reichspogromnacht bezahlt werden sollten. So wurden Opfer zu Tätern gemacht. Dies widerfuhr auch jenen 300 jüdischen Mülheimerinnen und Mülheimern, die ihre Flucht ins Ausland mit einer sogenannten Reichsfluchtsteuer bezahlen mussten. Oberbürgermeister Marc Buchholz brachte die heute und morgen mahnenden historischen Tatsachen auf den Punkt, wenn er feststellte: "Uns alle erfüllt es mit tiefer Scham, dass die Zivilcourage auch in unserer Stadt nicht stark genug war, um der Ausgrenzung der jüdischen Nachbarn entgegenzutreten." 1933 zählte die jüdische Gemeinde Mülheims 626 Mitglieder. Von ihnen konnten 300 fliehen und nur 20 im Machtbereich der Nationalsozialisten, gut versteckt oder in einem Konzentrationslager überleben. 270 jüdische Mülheimerinnen und Mülheimer wurden ab 1941 in Konzentrationslager deprotiert und dort ermordet. Heute zählt die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen rund 2700 Mitglieder, von denen etwa 800 aus Mülheim kommen.

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