Mittwoch, 25. Januar 2023

Brechts Blick auf Mülheim

 Das Theater an der Ruhr hat sich das Brecht-Fragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer vorgenommen und mit Regisseur Philipp Preuss und den Schauspielern Leonhard Hugger, Fabio Menendez, Steffen Reuber, Rupert Seidl und Gabriella Weber am 13. Januar eine Premiere auf seine Bühne am Raffelberg gebracht, die sich sehen lassen konnte.

„Das war ein sinnlicher Theaterabend“, kommentierte eine Zuschauerin ihren Eindruck. Und ein anderer Zuschauer fragte sich: „Hat Brecht seine Handlung tatsächlich in Mülheim an der Ruhr spielen lassen oder ist das ein Werbegag?“ Das Publikumsgespräch mit Regisseur Philipp Preuss und dem ebenfalls zur Theaterleitung gehörenden Helmut Schäfer klärte auf: „Bert Brecht hat die im Kriegswinter 1917/18 spielende Handlung seines in den Jahren 1927 bis 1931 geschriebenen, aber zu seinen Lebzeiten nie aufgeführten 400-Seiten Fragments tatsächlich in Mülheim an der Ruhr spielen lassen!“ Warum? Darüber können Preuß und Schäfer nur spekulieren. An wahrscheinlichsten erscheint ihnen die Tatsache, dass Mülheim, die damalige Garnisonsstadt an der Ruhr, in der Stinnes und Thyssen für die kriegswichtige Ruhrindustrie standen, „ein Symbol für das Ruhrgebiet war, in dem viele kriegsmüden Arbeiter und Soldaten von einer sozialistischen Revolution und von einer Räterepublik träumten, die im März 1920 dann auch hier errichtet werden sollte.“

Die mit sicht- und spürbarer Leidenschaft vom Ensemble auf die Bühne gebrachte Handlung spielte sich vor und hinter einem hauchdünnen und fast durchsichtigen Stoffvorhang ab. Ein Reporter, der mit seinem Mikrofon immer wieder vor den Vorhang trat, um die Handlungen der zwischen Solidarität und Verrat schwankenden vier Deserteure und einer ihrer nach Frieden, Alltagsnormalität und nach sexueller Befriedigung verlangenden Ehefrau kommentierte, erinnerte an die Fernsehkriegsreporter heutiger Tage. Ihn hatten Preuß und Schäfer in das von ihnen gemeinsam erarbeitete, etwa 40 Seiten starke Inszenierungsskript, hineinkomponiert.

Aus gutem Grund. Denn nicht nur der Krieg in der Ukraine machte die Fatzer-Inszenierung des Theaters an der Ruhr auf bedrückende Weise aktuell. Das Premierenpublikum erlebte eine buchstäblich filmreife Inszenierung. Die Bühnen- und Tontechniker Ramallah Aubrecht und Uwe Muschinski machten es möglich.

Auch wenn die Darsteller und Protagonisten sich für ihr konspiratives Tun hinter ihren Vorhang zurückzogen, konnten die Zuschauer sie aus der Vogelperspektive genau beobachten. Dass hatte etwas von Big Brother.  Der Einsatz von Mikrofon- und Kameratechnik machte es möglich. Hinzu kam der eingespielte (entfernt zu hörende) Geschützdonner.

Insgesamt gelang es der Inszenierung, die auch am 14. Januar und dann noch einmal am 26. Februar (jeweils um19.30 Uhr) im Theater an der Akkazienallee 61 am Raffelberg zu sehen sein wird, ihr Publikum in die Handlung hineinzuziehen und es jederzeit auf Höhe des Schauspiels zu halten.

Weitere Informationen zu der vom NRW-Kulturministerium und vom Kultursekretariat NRW geförderten Fatzer-Produktion finden Theaterfreunde im Internet unter: www.theater-an-der-ruhr.de oder telefonisch unter: 0208/5990188. 


Zu meinen Texten in der Mülheimer Tagespresse



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