2023 ist für den Karneval ein besonderes Jahr. Das Komitee Kölner Karneval feiert als Mutter aller Karnevalsvereine seinen 200. Geburtstag. Dagegen ist der Mülheimer Karneval eine junge Veranstaltung. Die älteste existierende Mülheimer Karnevalsgesellschaft ist die Erste große Mülheimer Karnevalsgesellschaft MÜKAGE.
1937 wurde sie in der Saarner Gaststätte Rosendahl unter dem
Vorsitz von Willi Enaux ins Leben gerufen. Auch in der NS-Zeit verlangten die
Menschen in unserer Stadt nach fröhlicher Geselligkeit.
Tatsächlich ist der Karneval in Mülheim wesentlich älter als
die MÜKAGE, die in den letzten Sessionen vor allem durch ihre närrischen
Hausfrauennachmittage und durch die Gemeinschaftssitzung mit den Mülheimer
Kirchengemeinden St Engelbert und St Mariä Rosenkranz („Firlefanz im Engelkranz“)
in Erscheinung getreten ist.
Auch vor 1937 gab es in Mülheim karnevalistisches Leben. Wer
in die alten Mülheimer Zeitungen schaut, stößt auf Anzeigen, die zu Kostüm- und
Maskenbällen, Karnevalsfesten oder zu einer Karnevalskirmes auf dem
Viktoriaplatz einladen, den wir heute als Synagogenplatz kennen.
"Als ich 1955, als Cowboy verkleidet, mit der Straßenbahn zu einer Karnevalssitzung fuhr, haben mich die Leute wie einen Außerirdischen angeschaut!" (Horst Ludwig + Ehrenvorsitzender der Mölmschen Houltköpp)
Im Stadtarchiv findet sich zum Beispiel auch ein Heft mit
rheinischen Karnevalsliedern aus dem Jahr 1914 und Presseberichte über alte
Karnevalsgesellschaften, wie die Lustigen Leute, die Aula, oder die 1955 neui gründete
Karnevalsgesellschaft Mölm Boovenaam („Mülheim obenauf“).
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die meisten Menschen noch
nicht automobil. Sie suchen deshalb nicht nur zur Fünften Jahreszeit ihre
Gelegenheiten zur fröhlichen Geselligkeit vor allem in der eigenen Stadt. Auch
in den ersten Hungerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg, ließen sich die närrisch
gesonnenen Mülheimer das Lachen und Feiern nicht verbieten. So gründeten die
Broicher und Speldorfer Kolpingsgeschwister 1947 eine Karnevalsgesellschaft. Weil
sie versehentlich blauweiße Narrenkappen geliefert bekamen, benannten sie sich
spontan als KG Blau Weiß.
Auch die dritte Karnevalsgesellschaft im närrisch-mölmschen Bund
entsprang einer Kolpingfamilie, die 1950 in der Heimaterde die inzwischen
aufgelöste KG Knatsch Geck aus der Taufe hob. Gefeiert wurden
Karnevalssitzungen damals am Karnevalssonntag, weil die meisten Menschen 6x8
Stunden pro Woche arbeiten mussten. Die Verbindung zwischen Kirche und Karneval,
zwischen frohe Botschaft und Frohsinn, die bis heute unter anderem durch karnevalistische
Gottesdienste gefeiert wird, kommt nicht von ungefähr. Denn der Karneval ist
die frech-fröhliche und opulente Zeit vor dem Aschermittwoch, der die
vorösterliche Fastenzeit einläutet.
Gefeiert wurde vor 1939 und nach 1945 vor allem in
Gaststätten. Große Prunksitzungen im Festsaal des Handelshofes und der 1957
wiedereröffneten Stadthalle, wurden erst mit dem voranschreitenden
westdeutschen Wirtschaftswunder in den 1960er Jahren zum karnevalistischen
Standard. Die 1950er Jahre waren eine Hochzeit des Mülheimer Karnevals. Die
Menschen hatten nach Zwei Weltkriegen, zwei Geldentwertungen und einer Diktatur
viel Nachholbedarf in Sachen Lebensfreude. Deshalb wurden in diesem Jahrzehnt
mit Knattsch Geck, Mölm Boowenaan, Mölmsche Houltköpp, den Roten Funken, dem
Mülheimer Carnevalsclub und der Röhrengarde gleich fünf Karnevalsgesellschaften
ins Leben gerufen.
Vergleichbar dem Komitee Kölner Karneval, konstituierte sich 1957
im Hotel Handelshof der Hauptausschuss Groß Mülheimer Karneval. Die Bündelung
der karnevalistischen Kräfte machte 1958 den ersten Mülheimer Rosenmontagszug
möglich. Bis dahin waren die meisten Mülheimer Karnevalisten im Duisburger Rosenmontagszug
mit von der närrischen Partie gewesen. Als erster Karnevalsprinz ging der
Mülheimer Brauereibesitzer Erich Ibing in den närrische Stadtgeschichte ein. Jetzt
bürgerten sich die öffentliche Prinzenproklamation und der närrische Rathaussturm
ein. Eine Stadtprinzessin und ein Kinderprinzenpaar gönnten sich die Mülheimer
Narren aber erst seit den späten 1960er Jahren.
In den 1960er Jahre veränderte sich mit der Gesellschaft auch
der Karneval. Aus dem Karneval Marke Eigenbau, der nur ehrenamtliche
Karnevalskünstler aus den Reihen der Mülheimer Gesellschaften kannte, wurde ein
Saalkarneval, der mit dem Fernsehkarneval konkurrieren und deshalb professionelle, aber teure Unterhaltungskünstler
einkaufen musste.
Mit Ihren Prunksitzungen zogen die Karnevalsgesellschaften
zunehmend in die Stadthalle ein und ließen sich nicht mehr nur von ihren
eigenen Musikern und Büttenrednern unterhalten. So wurde der Mülheimer
Saalkarneval attraktiver, aber auch teurer und damit zum wirtschaftlichen
Risiko.
Hinzu kam der wirtschaftliche Strukturwandel, der seit den
späten 70er Jahren die öffentlichen und privaten Finanzen schwinden ließ. Jetzt
suchten die Karnevalsgesellschaften verstärkt nach preiswerten
Veranstaltungsorten und Veranstaltungsformen. So feierte die KG Blau Weiß ihre
Prunksitzungen zwischenzeitlich in einem Zelt an der Duisburger Straße. Neben
dem Rosenmontagszug versuchten die Namen auch mit öffentlichen und
eintrittsfreien Biwaks unter freiem Himmel Lust auf Karneval zu machen.
Hatte zuerst der Zweite Weltkrieg den Karneval unterbrochen,
so wurde der Straßenkarneval auch später durch tragische Ereignisse, wie durch
einen Flugzeugabsturz im Mendener Ruhrtal am 8. Februar 1988, die
Rosenmontagsstürme (1990 und 2015), den Irakkrieg im Januar und Februar 1991
oder zuletzt durch die im März 2020 begonnene Corona-Pandemie und den im
Februar 2022 begonnen Krieg in der Ukraine beeinträchtigt oder verhindert.
Schon in den 1950er
Jahren suchten die Karnevalisten den Schulterschluss mit der Stadt und mit anderen
Vereinen. Die Mölmenschen Houltköpp (ihr Namenswahl war Ausdruck närrischer
Selbstironie), gingen 1957 aus dem Bund der Hirnverletzten hervor. Die 1959
gegründete Röhrengarde war ein Produkt der Mülheimer Röhrenwerke. Seit den
1960er Jahren verbreiteten die Karnevalsgesellschaften ihren närrischen
Frohsinn auch in Mülheimer Pflegeheimen und ab 1992 mit der Röhrengarde auch im
Dorf der Theodor-Fliedner-Stiftung. Außerdem knüpften die Mülheimer Karnevalisten
in den 1970er Jahren, etwa mit dem 1972 gegründeten Mülheimer Karnevalsverein,
den Mölmschen Houltköpp, den Roten Funken und dem MCC internationale Kontakte
in die Niederlande, in die französische Partnerstadt Tours und nach New York, wo
Mülheimer Karnevalisten in den 1970er Jahren an der Steuben-Parade teilnahmen. Internationalen
Show-Glamaour ala Broadway hat auch die 2001 von Sylvia und Peter Heibel in
Broich gegründete Ruhrgarde in den mölmschen Karneval gebracht, während die
MüKaGe seit den 1970er Jahren unter anderem als Gastgeberin der Tanzturniere
des Bundes Deutscher Karneval in der Stadthalle und in der Sporthalle an der Mintarder
Straße für Furore sorgte.
Unter Führung des Unternehmers Heiner Jansen verstärkte der
Hauptausschuss Groß-Mülheimer Karneval seit Ende der 1990er Jahre seine
Vernetzungsstrategie und die Einwerbung von Sponsorengeldern zur Finanzierung
des närrischen Treibens. Die Karnevalisten mussten in den 200er Jahren aber auch
hinnehmen, dass die 1998 gegründete Mülheimer Stadtmarketing- und
Toruismusgesellschaft MST die Stadthalle zunehmend als gewinnbringendes
Vermarktungsobjekt einsetzte und sie damit als Veranstaltungsort für das
bürgerschaftliche Engagement der Karnevalisten fast unbezahlbar gemacht hat.
Hinzu kam die Schließung des Handelshofsaales. Dort, wo das möglich war,
schufen sich die Karnevalisten jetzt eigene Räume, etwa die Wagenbauhalle im
Speldorfer Hafen. Auch Sponsoren, wie das Forum, die Sparkasse, das Dümptener
Autohaus Extra oder das Saarner Autohaus Wolf sprangen als Gastgeber der
Narretei für die vor 100 Jahren von der Stadt für die Stadt gebaute Stadthalle
ein. Hier schließt sich der Kreis des Karnevals, wenn in dieser Session
erstmals auch die Alte Dreherei in Broich zur Närrischen Hochburg wird. Immerhin
können die Karnevalisten bis dato ihre Prinzenproklamation, ihren Prinzenball,
die Kür ihres närrischen Ritters vom Schiefen Turm und die das zusammen mit dem
Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport VBGS durchgeführte inklusive
Musik- und Tanzfest Grenzenlos im Festsaal der Stadthalle feiern. Geschichte
dagegen ist die 1970 ins Leben gerufene Seniorensitzung im Theatersaal der
Stadthalle, die diesen oft bis auf den letzten ihrer 1100 Sitzplätze füllen
konnte.
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