Wir erleben es am eigenen Leib. Das Klima wandelt sich. Wir haben mehr Extremwetterlagen als in früheren Jahrzehnten. Dafür stehen nicht nur die 182 Menschen, die beim Sommerhochwasser 2021 in Nordrheinwestfalen und Rheinlandpfalz ums Leben gekommen sind. Die Bewahrung der Schöpfung hat mit dem Klimawandel, dessen Folgen seit 50 Jahren diskutiert werden, eine neue Dimension und Dringlichkeit. Darauf hat Ruhrbischof Franz Josef Overbeck 2021 mit der Einrichtung eines Bistumsrates für Ökologie und Nachhaltigkeit reagiert. Dieser Rat lud jetzt zu seiner ersten Jahrestagung in die Katholische Akademie ein.
Im Auditorium das Wolfsburg diskutierte Bischof Overbeck mit den Wissenschaftlern Harald Welzer und Beate Küpper darüber, wie wir die ökologische und soziale Transformation unserer Gesellschaft im Klimawandel so gestalten können, dass unsere freiheitliche Demokratie und der soziale Frieden keinen dauerhaften Schaden nehmen.
Coronabedingt fand auch diese Tagung, die vom Akademiedozenten Mark Radtke moderiert und von der Mercator Stiftung unterstützt wurde als hybride Veranstaltung statt. Neben den Gästen in dem Wolfsburg diskutierten auch via Livestream online zugeschaltete Teilnehmer mit.
Und damit war man auch schon im Thema: „Viele Menschen wissen nicht wie energieintensiv Livesstreaming ist. Es hat einen großen ökologischen Fußabdruck, weil es in letzter Konsequenz auch zu CO-2-Emissionen führt“, unterstrich Küpper. Bischof Overbeck wies darauf hin, „dass der Klimawandel nur dann sozial und demokratieverträglich gestaltet werden kann, wenn wir auch die sozialethischen Aspekte des Klimaschutzes und der Energiewende nicht aus dem Blick verlieren.“ Der Bischof bezog sich auf die Umweltenzyklika Laudato Si, die Papst Franziskus 2015 veröffentlicht hat. Overbeck erinnerte daran, „dass die Menschen vor dem Hintergrund der biblischen Schöpfungsgeschichte, die uns Menschen auffordert, uns die Welt untertan zu machen, sich nicht mehr als Teil der Natur, sondern als über der Natur stehend betrachten.“
Der Bischof machte klar: „Hier müssen wir umdenken und erkennen, dass wir als Menschen Teil der Natur sind und die Natur nichts ist, was ausschließlich den heut acht Milliarden Menschen zur Verfügung steht.“
Der Sozialpsychologe Harald Welzer schaute angesichts der aktuellen internationalen Konferenzen über Klimaschutz und Artenschutz kritisch auf die gesellschaftspolitische Wirklichkeit. Er stellte fest: „Die Leugner des menschengemachten Klimawandels spielen in unserer Diskussion heute keine Rolle mehr, auch wenn sie sich zum Beispiel auf den Schattenseiten der AFD zu Wort melden. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Klimaschutzes ist in der politischen Diskussion vorhanden, nicht aber nein die Bereitschaft, aus dieser Einsicht Konsequenzen zu ziehen. Dabei jeder Mensch einsehen, dass wir den Klimawandel durch eine neue Lebensweise aktiv begegnen müssen. Nur die Ökonomen, die weiter an grenzenloses Wirtschaftswachstum glauben und davon ausgehen, dass wir die ökologischen Probleme ist 21. Jahrhunderts mit den sozialen und wirtschaftlichen Methoden des 20. Jahrhunderts lösen können, wollen diese Wahrheit nicht begreifen.“
Das der allgemeinen Einsicht in die Notwendigkeit des Klimaschutzes in der sozialen Wirklichkeit nur wenige Taten folgen, führt Welzer darauf zurück, „dass die Horrorbotschaften über die Folgen des Klimawandels in der politischen Diskussion das Gegenteil ihres Zieles erreichen. Wenn zum Beispiel der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres angesichts des Klimawandels vor einer Klimahölle und kollektivem Selbstmord warnt, führt das in der Gesellschaft zu einer angstgetriebenen Schockstarre und nicht zur Bereitschaft und zur Einsicht, das wird den Klimawandel als Gesellschaft annehmen und gestalten müssen und können, so dass wir eben nicht die letzte Generation auf diesem Planeten sein werden.“
Dass ich junge Klimaschutzaktivisten aus der letzten Generation genötigt sehen, Flughäfen und Straßen zu blockieren, um auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, sieht Welzer als kontraproduktive Folge „einer mißlungenen politischen Kommunikation.“
Mit Beate Küpper war sich Welzer einig, „dass wir mit dem Tun beginnen müssen.“ Mit Blick auf Ihre Studienergebnisse machte Küpper deutlich, „dass etwa 80% unserer Bevölkerung, unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrem Alter konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz begrüßen und unterstützen.“ Küpper: „Wichtig ist, dass wir in der öffentlichen Diskussion deutlich machen, dass es auch Spaß machen kann und zu mehr Lebensqualität führt, wenn wir gemeinsam etwas für den Schutz des Klimas tuen. Unsere Befragungen zeigen, dass die Menschen in unserem Lande viel progressiver sind, als sie von der Politik eingeschätzt werden. Die Menschen sehnen sich nach Sinn und Gemeinschaft. Sie wollen nicht isoliert vor sich hinleben, sondern sind gerne bereit in der Gemeinschaft zusammen mit anderen etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu leisten und sich damit als Teil eines Ganzen zu erleben, das größer ist, als sie selbst. Anders würden die vielen Ehrenämter in unserer Gesellschaft nicht funktionieren.“ Küpper wies darauf hin, „dass die aktuelle Energiekrise, die aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den daraus resultierenden EU- Sanktionen gegen den Energierohstofflieferanten Russland entstanden ist, dazu geführt hat, dass Privathaushalte und Wirtschaft in Deutschland innerhalb weniger Monate ihren Energieverbrauch um 20 Prozent gesenkt haben.
Als nachahmenswertes Beispiel führte sie eine Sendung des französischen Fernsehens an, „in der täglich vor den abendlichen Hauptnachrichten über den tagesaktuellen Energieverbrauch das Landes informiert wird und den Zuschauern konkrete Energie Spartipps gegeben werden.“
Anders, als Welzer, glaubt Küpper mit Blick auf Rechtsextremisten nicht, dass diese sich aus der Klimaschutzdiskussion verabschiedet haben. Vielmehr geht soe davon aus, dass die extreme Rechte in Deutschland „die sozialen Folgen der aus dem Klimaschutz resultierenden und notwendigen Maßnahmen zu delegitimieren und damit eine antidemokratische Protestbewegung anzuheizen.“ Deshalb muss der Klimaschutz nach Küppers Ansicht sozialpolitisch flankiert werden.
Overbeck Küpper und Welzer waren sich auch einig, das vor allem die sozial und wirtschaftlich privilegierten Menschen in unserer Gesellschaft sowie die hochindustrialisierten Gesellschaften des globalen Nordens in besonderer Weise den Klimawandel durch ihren wachsenden Co-2-Ausstoß verursacht haben und deshalb auch eine besondere Verantwortung übernehmen müssen, um dessen Folgen für die Menschheit zumindest einzugrenzen. „Wenn sie zum Beispiel in einem großen Haus leben, können Sie schon viel damit erreichen, dass Sie nicht alle Zimmer gleichzeitig beheizen. Das ist aktiver Klimaschutz, den sie noch nicht einmal negativ spüren. Das gilt auch dann, wenn wir uns im Winter einen dicken Pullover anziehen und gleichzeitig unsere Heizung herunterdrehen.“
Wie weit wir in unserer Wohlstandsgesellschaft noch von der Einsicht entfernt sind, dass unserem Bekenntnis zum aktiven Klimaschutz Taten folgen lässt, machte Harald Welzer an einer Anekdote deutlich: „Nach einer Klimaschutzdiskussion stand ich mit dem Veranstalter an der Theke. Und plötzlich erzählte er mir, dass er sich gerade einen neuen PS-starken Geländewagen gekauft habe. Als er meine Irritation darüber bemerkte, sagte er mir: ‚Wenn Sie und Ihre Kollegen mit ihren Vorhersagen Recht haben, kann man solche Wagen nicht mehr lange fahren. Deshalb wurde es für mich höchste Zeit, mir das Fahrzeug anzuschaffen.“
In der Diskussion Werte Andreas-Andrea Doaro , Autor des Buches „Nach mir die Energiewende“, dafür, „Prominente für eine landesweite und damit publikumswirksamer Werbekampagne zugunsten des aktiven Klimaschutzes zu gewinnen, um das Bewusstsein für die Dringlichkeit das Klimaschutzes in die Köpfe der Bevölkerung hineinzutragen.“ Doaro betonte; „Wir halten uns als Menschen für besonders intelligente Wesen und vergessen, dass wir instinktgesteuert sind, wenn wir zum Beispiel als Autofahrer, Fluggäste, Fleischesser, Industrieproduzenten und Industriefacharbeiter, Teil eines umweltzerstörenden Wirtschaftssystems sind, die mehr Angst vor dem greifbaren Wohlstandsverlust als vor der unfassbaren Bedrohung unserer menschlichen Existenz durch den Klimawandel.“
Ein Vertreter der in der Diskussion gescholtenen Wirtschaft plädierte dafür, auf die wirtschaftliche Wiederaufbaustrategie des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard zurückzugreifen. „Er hat damals begriffen, dass wir als Gesellschaft, alle technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ausnutzen müssen, um unsere gesellschaftlichen Herausforderungen mit den Instrumenten einer marktwirtschaftlichen, liberalen und sozialpolitisch abgepufferten Ordnungspolitik zu bewältigen. Deshalb müssen wir auch heute mit dem Instrument der Abschreibungen Investitionen in wirtschaftliche und technische Innovation zugunsten des Klimaschutz fördern, indem wir als Staat deutlich machen: ‚Investiere oder zahle Steuern!‘“
Bischof Overbeck unterstrich, „dass schon viel gewonnen wäre, wenn der Bund und die Länder die Kommunen aktiver bei der Finanzierung von praktischen Klimaschutzprojekte vor Ort unterstützen würden.“ Solche Projekte wurden auch in der Diskussion angesprochen. „Die Menschen müssen vor Ort in den Städten erleben, so Politikstudent Florian Pannen von Fridays for Future, „dass aktiver Klimaschutz für sie auch ein Gewinn sein kann, indem sie auch an den wirtschaftlichen Gewinnen der Energiewende beteiligt werden. Wenn zum Beispiel durch Energieeinsparungen Gelder für andere kommunale Projekte, wie den Bau einer Turnhalle frei werden, sind Menschen auch bereit, Maßnahmen zum Klimaschutz mitzutragen. Doaro, der hauptberuflich Windkraftanlagen verwaltet, plädierte dafür, „alle bürokratischen Hemmnisse abzuschaffen, die zurzeit noch den Ausbau der erneuerbaren Energie Infrastruktur hemmen.“ Mit dem Hinweis auf vorhandene technische Möglichkeiten wie etwa Kraftwärmekopplung, Geothermie, grüner Wasserstoff, Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen, wurde deutlich, dass wir als hochtechnisierte Gesellschaft dem Klimawandel und seinen verheerenden Folgen für unsere Lebensqualität nicht wehrlos und tatenlos zuschauen müssen.
Zur Person:
Der 1964 in Marl geborene Franz Josef Overbeck ist seit 2009 Bischof von Essen und war bis 2021 Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. Im September 2021 hat er mit Blick auf die dringliche Klimaschutzdiskussion einen neuen Rat für Ökologie und Nachhaltigkeit ins Leben gerufen, um sich Umwelt und sozial ethisch besser beraten zu lassen. Diesem Rat gehören an: Ex-NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, Tobias Clermont (LEG Immobilien SE), Nina Frense (RVR-Regionalverband), Bernhard Osburg (Thyssenkrupp Steel Europe AG), Dr. Lars Grotewold (Stiftung Mercator GmbH), Friedrich Steinmann (Landwirtschaftlicher Kreisverband Recklinghausen), Dr. Carsten Gerhardt (A.T. Kearney GmbH), Prof. Dr. Uli Paetzel (Emschergenossenschaft Lippeverband), Prof. Dr. Susanne Moebus (Institut für Urban Public Health), Prof. Dr.-Ing. Ruben-Laurids Lange (Westfälische Hochschule), Dr. Christiane Schell (Bundesamt für Naturschutz), Stefan Schulte (Verwaltungsgericht Arnsberg), Prof. Dr. Thomas Happe (Ruhr-Universität Bochum), Julian Pannen (Fridays for Future), und die Leiterin der Wolfsburg Dr. Judith Wolf. In der von Overbeck zitierten Umwelt Enzyklika des Papstes komm mal stellt Franziskus unter anderem fest, dass die natürlichen Ressourcen der der Erde zunehmend erschöpft und sozial ungerecht verteilt sind, was ein globales Umdenken und Handeln erfordern, um durch konkreten Klima- und Umweltschutz die Schöpfung und damit die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zu bewahren.
Der Soziologe und Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer (Jahrgang 1958) setzt sich auch publizistisch und in Vorträgen seit Jahrzehnten mit dem Klimawandel, seinen Folgen und unserem Verhalten auseinander. 2008 veröffentlichte er sein Buch: „Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“ 2022 gewann er als Koautor der Bücher: „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ und: „Zu spät für Pessimismus: Das FUTURZWEI-Anti-Frust-Buch für alle, die etwas bewegen wollen“ eine starke öffentliche Resonanz. Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung Futur Zwei die im Sinne gesellschaftlicher Zukunftsfähigkeit alternative Lebensstile und Wirtschaftsformen aufzeigt und fördert.
Prof. Dr. Beate Küpper hat im Rahmen des vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geleiteten Projekts DemoKon zu einer demokratischen Konfliktkultur in der Energiewende geforscht. Sie lehrt und forscht im Bereich Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein mit Sitz in Krefeld. 2017 war sie Fellow der Mercartorstiftung, die auch die erste Jahresveranstaltung des Bistumsrates für Ökologie und Nachhaltigkeit unterstützt hat.
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