Am 26. September haben wählen auch die Mülheimer den Deutschen Bundestag und seine Abgeordneten. Vor 150 Jahren wählten die Mülheimer (am 3. März 1871) den ersten Deutschen Reichstag des neu gegründeten Kaiserreiches.
Auf einer Woge des nationalen Hochgefühls stimmte Mülheim,
wie im reichsweiten Trend mehrheitlich für die Nationalliberalen und ihren damals
38-jährigen Kandidaten Richard Dove. Die entschiedensten Anhänger des neuen Kaiserreiches
unter preußischer Führung und seines ersten Kanzlers Otto von Bismarck,
sammelten sich in der 1867 gegründeten Nationalliberalen Partei. Sie nannte
sich in den Anzeigen der Rhein-Ruhr-Zeitung „die Nationale Partei“ und: „die Verfassungspartei“.
Einer der 382 Abgeordneten des ersten Deutschen Reichstags wurde
der für Mülheim, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken gewählte Göttinger Kirchenrechtsprofessor
Richard Wilhelm Dove. Obwohl er nicht aus dem Reichstagswahlkreis kam, hatte
ihn das lokale Wahlkomitee der Nationalliberalen Partei als Kandidaten
nominiert.
Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal sollte ein importierter
Kandidat zum Mülheimer Abgeordneten gewählt werden. 1871, hatten die Mülheimer
nur eine Stimme, die sie abgeben konnten. Denn der Reichstag wurde nach einem Mehrheitswahlrecht
gewählt, wie es heute noch in Großbritannien, Frankreich und in den USA
praktiziert wird.
Dieses Wahlrecht gewährt nur Kandidaten den Einzug ins
Parlament, die in einem Wahlkreis die Stimmenmehrheit auf sich vereinigen.
Obwohl neben dem Nationalliberalen Richard Wilhelm Dove auch der Richter
Heinrich Grütering von der katholischen Zentrumspartei und der Journalist Wilhelm
Hasenclever von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, die später zur Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands (SPD) werden sollte, zur ersten Reichstagswahl antraten, hatten
die Nationalliberalen und ihr Kandidat die Gunst der Stunde auf ihrer Seite und
trugen mit ihrem auswärtigen Kandidaten einen beachtlichen Wahlsieg davon.
Walberechtigt waren 24.473 Bürger. 15.484 Stimmen wurden
abgegeben. Richard Wilhelm Dove erhielt 10.461 Stimmen, Richter Grütering 3245
Stimmen und Wilhelm Hasenclever 1633 Stimmen.
Mit diesem Wahlergebnis lag Mühlheim im nationalen Trend.
Denn die Nationalliberalen wurden im Deutschen Reich zur stärksten Partei,
gefolgt vom katholischen Zentrum und den Konservativen. Die Sozialdemokraten gewannen
mit nur 0,5% der Stimmen 2 Mandate im 1.
Reichstag.
Auch in Mülheim konkurrierten Sozialdemokraten und
Zentrumspartei um die Stimmen der Arbeiter. Der Zentrumskandidat Grütering
hatte in einer Wahlanzeige der Rhein-Ruhr-Zeitung angekündigt: „mit nationaler Gesinnung
für konfessionelle Schulen, die Freiheit der christlichen Kirchen und das Wohl
der Arbeiter eintreten“ zu wollen. Durch die Aufteilung der Arbeiterstimmen
hatte der Sozialdemokrat Hasenclever keine Chance, den Ruhr-Wahlkreis mit einer
Mehrheit der Stimmen zu gewinnen.
Die erste Wahl zum Deutschen Reichstag war nicht wirklich
demokratisch. Wahlberechtigt waren nur Männer ab 25. Frauen durften erst nach
dem Ende des Kaiserreiches wählen und gewählt werden. So repräsentierte der
1871 gewählte Reichstag nur 20% der Bevölkerung. Immerhin wurde der Reichstag
des Kaiserreiches demokratischer gewählt, als der preußische Landtag und die
Stadträte. Für ihre Wahl galt bis 1918 das Drei-Klassen-Wahlrecht. Es teilte
die Wähler, abhängig von ihrer Steuerkraft in drei Wählerklassen ein. So
stellten ¾ der Bevölkerung nur 1/3 der Stimmen. Und eine Stimme der 1. Klasse
war 17mal mehr wert als eine aus der 3. Klasse.
Allerdings konnten sich nur gutsituierte Bürger während des
Kaiserreiches eine Wahl in den Reichstag leisten, da sie als Abgeordnete bis 1906
keine Diäten bekamen. Auch die Rechte des Reichstags waren begrenzt. Er konnte
Gesetze und Haushaltspläne der Regierung billigen oder ablehnen, aber keine
Regierung oder abwählen. Der Reichskanzler wurde vom Kaiser ernannt und war
deshalb von seinem Vertrauen abhängig.
Mülheimer im Reichstag und im Bundestag:
Richard Wilhelm Dove, Jurist, Nationalliberal 1871-1875
Johann Friedrich Schulte, Jurist, Nationalliberal, 1874-1881
Friedrich Hammacher. Jurist, Nationalliberal, 1881-1898
Theodor Möller, Unternehmer, Nationalliberal1898-1903
Wilhelm Beumer, Lehrer, Nationalliberal, 1903-1907
Klemens Hengsbach, Tischler, Sozialdemokratie, 1907-1912
Hugo Böttger, Publizist, Nationalliberal, 1912-1918
Joseph Allekotte, Postbeamter, Zentrum, 1920-1928
Fritz Thyssen, Großindustrieller, NSDAP, 1933-1939 (nicht
gewählt)
Otto Striebeck, Redakteur, SPD, 1949-1953 & 1958-1965
Gisela Prätorius, Pädagogin, CDU, 1953-1957
Max Vehar, Unternehmer, CDU, 1957-1961 & 1969-1976
Willi Müller, Verwaltungsoberinspektor, SPD, 1965-1980
Helga Wex, Philosophin, CDU, 1967-1969 & 1972-1986
Thomas Schröer, Lehrer, SPD, 1980-1990
Wilhelm Knabe, Forstwissenschaftler, Grüne, 1987-1990
Andreas Schmidt, Jurist, CDU, 1990-2009
Ulrike Flach, Übersetzerin, FDP 1998-2013
Astrid Timmermann-Fechter, Geschäftsführerin/Referentin CDU 2013-2017
Anton Schaaf, Arbeiter/Betriebsrat, SPD (2002-2013)
Armo Klare, Lehrer, SPD (2013-2021)
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