Wie geht es mit der katholischen Kirche in Mülheim weiter? Damit haben sich mehrere 100 Katholiken seit 2015 im Pfarreientwicklungsprozesses (PEP) befasst, in Gemeindeversammlungen, Sachausschüssen, Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen. Zurzeit sind Steuerungsgruppen der drei Pfarreigemeinden St. Mariä Himmelfahrt, St. Mariae Geburt und St. Barbara dabei, die Ergebnisse des Pfarreientwicklungsprozesses, die 2018 in Gemeindevoten dokumentiert und vom Bischof abgesegnet worden sind, in die Tat umzusetzen. Doch es gibt Kritik von der Basis, formuliert zum Beispiel vom Saarner Katholiken Hubert Kauker. Er hat den Initiativkreis Unsere Kirche 2030 und die namensgleiche Internet-Diskussions-Plattform ins Leben gerufen.
Die Gemeindemitglieder, so Kauker, seien im Reformprozess nicht ausreichend mitgenommen
worden. Er fordert: „Strukturentscheidungen für die Zukunft der katholischen
Stadtkirche nicht nur von den Gremien wie Pfarrgemeinderäten und
Kirchenvorständen getroffen werden.“ Kauker betont: „Der PEP 1 muss durch einen
PEP 2 abgelöst werden. Die Reformdiskussion muss inhaltlich geführt werden. Sie
darf sich nicht nur auf die Umwidmung und den Verkauf von Kirchenimmobilien
beschränken. Wir brauchen in den Gemeinden wieder mehr Ungezwungenheit und
Freude am Glauben und dürfen funktionierende Strukturen nicht zerschlagen.
Sonst setzen wir eine Abwärtsspirale in Gang.“
Kauker verlangt die Offenlegung der Gemeindehaushalte, „damit alle
Gemeindemitglieder wissen, wovon wir reden.“ Außerdem wünscht er sich, „dass
das Bistum eine Bedarfsumfrage startet, um herauszufinden was die Menschen in
den Gemeinden wirklich brauchen und haben.“ Er plädiert für eine
gemeindebezogene Betrachtung des Status quo, die das Ziel habe, „die Kirche zu
einem attraktiven Anziehungspunkt für Menschen mit ihren Sinn- und
Orientierungsfragen zu machen.“
Die beiden Pfarrer Michael Janßen (St. Mariae Geburt) und Christian
Böckmann (St. Mariä Himmelfahrt und St. Barbara.) weisen Kaukers Kritik am
PEP-Verfahren zurück. Sie weisen darauf hin, dass Hubert Kauker im
Sachausschuss seiner zu St. Mariä Himmelfahrt gehören Gemeinde St. Elisabeth
mitarbeitet und aus Protest gegen den aktuellen Umstrukturierungskurs aus dem
Pfarrgemeinderat ausgetreten ist.
„Niemand wird beiseitegedrängt. Jeder konnte und kann sich mit seiner
Meinung einbringen. Außerdem kann jeder die Haushalte der Pfarr Gemeinden im
jeweiligen Pfarrbüro einzusehen. Aber nur sehr wenige Gemeindemitglieder machen
Gebrauch davon, weil es sich um eine komplexe Materie handelt. Der
Haushaltsplan für ein Jahr umfasst einen Aktenordner. Es ist nicht möglich, das
komplett im Internet zu veröffentlichen“, sagt Pfarrer Böckmann.
Für Stadtdechant Janßsen steht fest: „Angesichts der demografischen und
finanziellen Veränderungen müssen wir uns den Strukturreformen in unserer
Kirche stellen, damit sie auch künftig ihre Kernaufgaben leisten kann, nämlich
im Sinne Jesu seine Frohe Botschaft unter den Menschen zu verbreiten und sie
mit Leben zu füllen. Alles andere wäre angesichts der unbestreitbaren Tatsachen
verweigert, begeht Verrat am Evangelium.“ Böckmann und Janßen nehmen die
ehrenamtlichen und gewählten Mitglieder der Kirchenvorstände und des
Kirchensteuerrates in Schutz. Sie stellen fest: „Niemand trifft leichten
Herzens schmerzliche Entscheidungen. Die Kirchenvorstände, die für ihre
Entscheidungen mit ihrem eigenen
Vermögen haften, wägen jeden Beschluss verantwortungsvoll ab.“
Beide Pfarrer erkennen in den Folgen der Corona-Pandemie eine
Beschleunigung der Strukturveränderungen, angesichts derer Michael Janßen sagt:
„Wir müssen jetzt handeln, um nicht schon bald behandelt zu werden.“ Neben der
wirtschaftlichen Herausforderung sehen Böckmann und Janßen auch eine pastorale
Herausforderung, um die durch die Coronakrise entstandene Seelsorgelücke zu
schließen.“
Zahlen, Daten, Fakten.
In den vergangenen 25 Jahren ist die Zahl der Katholiken von 64.000 auf
45.000 zurückgegangen. Von 20001 bis 2020 sind 7040 Mülheimer aus der katholischen
Kirche ausgetreten. Im gleichen Zeitraum konnte die Stadtkirche 538 Eintritte verzeichnen.
Seit der Einführung der kaufmännischen Buchführung im Jahr 2012 machen die an der
Katholikenzahl und der Gemeindefläche orientierten Schlüsselzuweisungen des
Bistums aus Kirchensteuereinnahmen 40% der Pfarreihaushalte aus. Bis 1995
konnten die Pfarrgemeinden ihren Finanzbedarf beim Bistum melden und wurden bei
den Personalkosten zu 100% vom Bistum finanziert. 1996 wurde mit der
Budgetierung die Finanzplanungshoheit vom Bistum auf die Pfarrgemeinden
übertragen und Schlüsselzuweisungen eingeführt. Diese Umstellung bedeutete für
die Gemeinden ein Einnahmen-Minus von 30%. Von 2012 bis 2020 blieben die
Schlüsselzuweisungen an die Pfarrgemeinden konstant. 2021 wurden sie aufgrund
der sinkenden Kirchenmitgliedszahlen um 12% gesenkt. Weitere Einnahmen
generieren die Pfarrgemeinden aus Kollekten, Mieten, Pachten und
zweckgebundenen kommunalen Mitteln. Ihr jährliches Haushaltsvolumen liegt bei
derzeit ca. 1 Million Euro, wobei die Unterdeckung aktuell bei 10% liegt. Gleichzeitig
steigen ihre Personal,- Sach- und Energiekosten pro Jahr zwischen 1- und 3,5%.
Je nach Gebäudebestand müssen die Pfarrgemeinden jährlich Rückstellungen für
Instandsetzungen bilden. Diese schwanken zwischen 23.000 und 51.000 Euro. 2016
rechnete das Bistum damit, dass die Kirchensteuereinnahmen bis 2030 um 44% und
die Kirchenmitgliedszahlen um 33% sinken werden.
NRZ/WAZ, 08.07.2021
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