13. Juli 1946: In Mülheim erscheint die erste Lokalausgabe der NRZ. Ihre Lizenzierung durch die britische Militärregierung ist Teil der von den Alliierten angestrebten Demokratisierung der über zwölf Jahre vom Nationalsozialismus geprägten deutschen Gesellschaft. Es gehe darum, wie es ein britischer Offizier in der NRZ vom 13. Juli 1946 schreibt, „das Vertrauen in die Menschlichkeit zu stärken“.
Die erste Lokalausgabe der Mülheimer NRZ besteht aus einer Seite. Berichtet wird unter anderem über die Lebensmittelhilfen des Schwedischen Roten Kreuzes, über den Rehabilitationssport für Kriegsbeschädigte in der heutigen Martin-von-Tours-Grundschule, über den Diebstahl von Lebensmittelkarten, über den Mangel an politisch unbelasteten Lehrern und intakten Schulen und über verschlepptes Schulmobiliar.
Im Kleinanzeigenteil finden sich Tauschangebote, wie: „Biete gut erhaltenen Damenmantel (Größe 42). Suche Herrenanzug.“ Gut ein Jahr nach Kriegsende herrschen in der Trümmerstadt an der Ruhr Hunger und Not. Lebensmittel sind rationiert. Die Kinder sind auf Schulspeisungen des Schwedischen Roten Kreuzes angewiesen. Viele Menschen leben damals notdürftig in Baracken, Häuserruinen, Kellerräumen oder müssen sich noch intakte Wohnungen mit Fremden teilen.
Gleichzeitig lassen Kriegsheimkehrer und Vertriebene aus dem deutschen Osten die Stadtbevölkerung in den ersten fünf Nachkriegsjahren von 88.000 auf 150.000 Einwohner ansteigen. Papier ist knapp In dieser extremen Situation gehen der erste Redaktionsleiter der NRZ, Otto Striebeck, und seine fünf freien Mitarbeiter ans Werk. Das Papier ist knapp und wird von der britischen Militärregierung zugeteilt. Deshalb erscheint die NRZ anfangs nicht täglich, sondern nur zweimal pro Woche. Striebecks Wohnung an der Friedrichstraße, die bis 1945 Adolf-Hitler-Straße geheißen hat, ist die erste Lokalredaktion. Erst später bezieht er ein Redaktionsbüro an der Schloßstraße. Das Monats-Abo der NRZ kostet 1946 1,50 Reichsmark. Die D-Mark wird erst 1948 eingeführt. Otto Striebeck ist damals 51 Jahre alt. Der gelernte Bergmann hat sich zum Redakteur weitergebildet und schon vor 1933 für sozialdemokratische Zeitungen geschrieben. Wie der Herausgeber der NRZ, Dietrich Oppenberg, ist Striebeck Sozialdemokrat.
Deshalb sind beide nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Doch sie haben die Hitler-Herrschaft überlebt und wollen jetzt am Aufbau einer neuen deutschen Demokratie mitarbeiten. Die britische Militärregierung hat die NRZ als SPD-nahe Zeitung lizenziert. Deshalb konkurriert das Blatt zunächst mit der CDU-nahen Rheinischen Post und später mit der unabhängigen Westdeutschen Allgemeinen, mit der FDP-nahen Morgenpost und mit den CDU-nahen Ruhrnachrichten.
Erst 1949 fällt der alliierte Lizenzierungszwang und damit auch die unmittelbare Parteibindung der Presse. Einzug in den Bundestag So wie der Lokalchef der Ruhrnachrichten, Franz Matuszczyk, für die CDU im Stadtrat sitzt, so vertritt Otto Striebeck die SPD im Stadtparlament. 1949 wird der Sozialdemokrat Striebeck dann sogar als erster Mülheimer Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einziehen, dem er mit einer Unterbrechung, bis 1965 angehören wird, bevor er 1972 stirbt.
2011 erinnert sich seine Tochter Elfriede Rosorius (1921-2013) in einem Interview mit der NRZ an ihren Vater: „Er war ein Mann, der Tag und Nacht arbeitete und er konnte Dinge sehr gut erklären, sich mit Meschen auseinandersetzen und ihnen Wege aufzeigen, wie man Dinge regeln kann.“ Die NRZ löst als von den Alliierten lizenzierte Zeitung die alten Lokalblätter Mülheimer Zeitung und Generalanzeiger ab, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gleichgeschaltet und durch die Pressezensur zu Propaganda-Instrumenten der NSDAP gemacht worden waren.
Mit dem Hinweis: „Jetzt dürfen wir wieder schreiben und sagen, was wahr ist“, wirbt Otto Striebecks Tochter Elfriede 1946 die ersten 500 Abonnenten der Mülheimer NRZ, indem sie von Haus zu Haus geht. Fast auf den Tag genau, 75 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Mülheimer Lokalausgabe bilden die heute beide zur Funke Mediengruppe gehörenden NRZ und WAZ in Mülheim eine Redaktionsgemeinschaft.
NRZ, 13.07.2021
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