Reginald Lebenicnik macht es vor. Der 80-Jährige zieht sich seine mit Sand- und
Metallkügelchen gefüllten Fußmanschetten an und hebt das linke Bein an.
Gleichzeitig nimmt er einen Overball in beide Hände, hebt ihn über seinen Kopf
und führt ihn dann seitlich nach links und rechts. Derweil richten sich Günter
(65) und Rosemarie (64) Stiepel gerade auf. Sie nehmen in beide Hände eine
Hantel, strecken sie mit ihren Armen erst in die Höhe, um sie dann
herunterzunehmen und seitlich nach links und rechts auszustrecken und dann
wieder zusammen zu führen. Die drei Bewohner des zum Ev. Krankenhaus gehörenden
Wohnstiftes Raadt machen mit beim Kraft,- Koordination- und Balance-Training,
das die Ergotherapeutin Isabel Orlik seit 2013 zweimal pro Woche anbietet. Die
Senioren sind sich einig: „Wir fühlen uns nach dem Training einfach wieder
kräftiger und werden nicht so schnell schlapp.“
Orlik,
die wöchentlich 12 bis 15 Senioren trainiert geht davon aus: „Wer rastet, der
rostet!“ Deshalb will sie mit ihrem Training, das gezielt die Muskulatur wieder
aufbaut und die Koordinationsfähigkeit stärkt, dafür sorgen, „dass die Senioren
in Alltagssituationen nicht nur besser agieren, sondern auch reagieren können,
wenn sie zum Beispiel stolpern und zu stürzen drohen.“
Solche
Bewegungseinheiten, „die alte Menschen fordern, aber nicht überfordern“, sind
auch aus Sicht des Mülheimer Allgemeinmediziners Uwe Brock der richtige Weg, um
der mit dem Alter zunehmenden Sturzgefahr vorzubeugen. „Ab dem 30. Lebenjahr
verlieren wir pro Jahr etwa ein Prozent unserer Muskelmasse. Gleichzeitig lässt
auch unsere Knochendichte nach“, beschreibt Brock einen wesentlichen Grund
dafür, warum man im Alter an Kraft verliert, leichter fällt und sich dabei auch
schneller die Knochen bricht.
Dass man aber auch im Alter durch gezielte
Bewegung Muskelmasse wieder aufbauen kann, zeigt das im Wohnstift Raadt
praktizierte Training. Das Mülheimer Altenheim wurde 2014 dafür von der
Landesinitiative „Sturzprävention bei Senioren“ mit dem Gütesiegel
„Sturzpräventive Pflegeeinrichtung“ ausgezeichnet.
Der Leiter des
Wohnstiftes Raadt, Andreas Rost, hat festgestellt, dass die Zahl der Stürze, die
jährlich in seinem Haus registriert werden „von 118 auf knapp 100 zurückgegangen
ist.“ Dabei werden im Wohnstift Raadt auch indirekte Stürze gezählt, bei denen
Bewohner aus ihrem Bett oder ihrem Sessel auf den Boden gerutscht sind, weil sie
das Gleichgewicht verloren hatten. Noch deutlicher sieht er die Wirkung des
Kraft,-Koordinations- und Balance-Trainings aber an der Tatsache, „dass die Zahl
der Bewohner, die sich bei einem Sturz schwer verletzt haben, in dem sie sich
zum Beispiel den Oberschenkelhals brachen, noch deutlicher zurückgegangen ist
als die Zahl der Stürze.“
Für
Trainingsteilnehmerin Rosemarie Stiepel sind die wöchentlichen Übungen zum
Erhalt und zum Wiederaufbau der Kraft- und Koordinationsfähigkeit ein Instrument
„der Lebenserhaltung, das dafür sorgt, dass ich nicht plötzlich nur noch im Bett
liegen kann.“ Auch bei ihren Sportkameraden stellt sie fest, dass sich viele von
ihnen, die vorher kaum aus ihrem Zimmer herauskamen, plötzlich wieder in die
Gemeinschaftsräume des Wohnstiftes oder sogar nach draußen trauen. „Dieses
Training beugt nicht nur Stürzen und daraus resultierenden Verletzungen vor. Es
schafft auch wieder neue Lebensqualität und verhindert, dass sich alte Menschen
immer mehr zurückziehen und sozial isolieren“, sagt Einrichtungsleiter
Rost.
Zu dieser Erkenntnis passt auch, dass das Training, an dem auch
interessierte Senioren teilnehmen können, die nicht im Wohnstift Raadt leben,
inzwischen aus dem kleinen Gymnastik- in den großen Andachtsraum des Altenheimes
umgezogen ist. Als Isabel Orlik ihre Sturzprävention im Rahmen der Raadter
Inforunde vorstellte, kamen immerhin rund 30 Besucher. Und inzwischen sind
einige Bewohner des Wohnstiftes sogar so gut trainiert, das sie am letzten
Freitag im Monat an der aus dem Netzwerk der Generationen erwachsenen
Stadtteil-Aktion „Raadt geht spazieren“ teilnehmen können.
Weitere Informationen zum Thema findet man auf der Internetseite des Wohnstiftes Raadt unter: www.wohnstift-raadt.de
Dieser Text erschien am 24. April 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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