Neulich in einem Mülheimer Bus. Eine ältere Dame steigt ein.
Der jüngere Mann steht auf. Mann weiß, was sich gehört und bietet ihr seinen
Sitzplatz an. Alte Schule eben. Doch die ältere Dame winkt fröhlich ab:
„Bleiben Sie ruhig sitzen. So alt bin ich auch wieder nicht. Außerdem habe ich
Stehvermögen und steige schon an der übernächsten Haltestelle wieder aus. Da
lohnt sich das Hinsetzen ja gar nicht.“
Während der jüngere Mann aus der alten Schule sich auf
seinen Sitzplatz zurückfallen lässt, ehe auch er an der übernächsten
Haltestelle aussteigen wird, steuert die ältere Dame mit jugendlichem Elan auf
den nächsten Haltegriff zu, um sich auch in der nächsten Kurve nicht aus dem
Gleichgewicht bringen zu lassen.
Dagegen kommt der jüngere Mann ins Schleudern, obwohl er
doch sitzt, weil er sich plötzlich so alt fühlt und den Zug der Jugend vor
seinem geistigen Auge abgefahren und sich in den vermeintlich besten Jahren
angekommen sieht. Aber was soll’s. Die besten Jahre, wann immer sie anfangen
und enden mögen, haben auch noch schöne Tage, an denen man ruhig mal sitzen
bleiben und standfesten älteren Damen den Vortritt lassen darf, um Kraft für
die nächste Etappe zu schöpfen, so lange man das Aufstehen nicht vergisst und
den Anschluss nicht verpasst. Das gilt für die Busfahrt durch Mülheim wohl
genauso wie für die Reise durchs Leben.
Dieser Text erschien am 10. Februar 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen