Heute feiern wir den Tag der Deutschen Einheit. An so einem Feiertag, an dem wir uns über die Wiedervereinigung unseres Landes freuen können, stellt sich die Frage: Was ist eigentlich deutsch? Für die NRZ suchte ich nach Antworten und wurde fündig.
Der Vorsitzende des Türkischen Vereins, Fevzi Eraslan (73), der seit 1957 in Deutschland lebt, findet es typisch deutsch, "dass hier alles in vergleichbar ruhigen und geordneten Bahnen verläuft." Das fange schon beim Straßenverkehr an. Für den Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Rhein-Ruhr. Mustafa Okur (70) ist typisch deutsch, dass er als türkischer Zuwanderer eine berufliche und private Existenz aufbauen konnte und nach 50 Jahren in Deutschland sagen kann: "Hier ist meine Heimat."
Und das liegt für ihn "an den Menschen, mit denen ich hier lebe."Der am Otto-Pankok-Gymnasium unterrichtende Deutsch- und Geschichtslehrer Joachim Junik (59) sieht sein Deutschsein als "ein besonderes Gefühl für die deutsche Sprache und die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache." Auch einen "in weiten Teilen kritischer und differenzierter Umgang mit der eigenen Geschichte", und ein vorsichtiger Patriotismus sind für ihn typisch deutsch. Deutsch?! Da denkt auch der Religionspädagoge und Israel-Experte des Städtepartnerschaftsvereins Gerhard Bennertz (73) neben der "Vielfalt des deutschen Waldes" an die "Wortvielfalt und komplexe Grammatik der deutschen Sprache." Die mache vielen Zuwanderern das Leben schwer, schaffe aber auch die Grundlage dafür: "sich in der deutschen Sprache besonders präzise ausdrücken zu können."
Denkt der Heißener Pfarrer Michael Manz (48) an Deutschland, fallen ihm das Nörgeln und die Unzufriedenheit als deutsche Untugenden ein. "Wir suchen erst mal das Haar in der Suppe, bevor wir sie überhaupt kochen", glaubt Manz. Den deutschen Perfektionismus sieht er als "unser preußisches Erbe", dass uns das Leben schwer macht. "Wir wollen alles perfekt haben und wenn es nicht so ist, fangen wir an zu meckern", schreibt er uns Deutschen ins nationale Stammbuch.Auch der Leiter des Altenheines Ruhrgarten, Oskar Dierbach, hat manchmal den Eindruck, "dass wir Deutschen jammern, bis der Arzt kommt und uns durch eine totale Ökonomisierung bekloppt machen lassen, statt uns auf unser kreatives Potenzial und unsere guten Ansätze in Bildung, Kultur und Nächstenliebe zu besinnen."
Für Markthändler Heinz Rademacher (76), der mit seiner Familie die Fische von der deutschen Waterkant auf den Mülheimer Wochenmarkt an der Schloßstraße bringt, sind: "Fleiß, Pünktlichkeit und das Streben nach Regelmäßigkeit und Ordnung" deutsche Tugenden.Für den 41-jährigen Jens Roepstorff , der als Stadtarchivar unsere Geschichte bewahrt, dokumentiert und vermittelt, sind "Pessimismus und Zukunftsangst" typisch deutsche Charakterzüge. "Wir gucken immer pessimistisch in die Zukunft, obwohl es uns besser geht als vielen anderen Ländern und auch unsere Geschichte zeigt, dass es wieder aufwärts gehen kann, auch wenn man am Boden liegt."
Für den am Löhberg ansässigen Buchhändler Michael Fehst (47) sind "Regulierungswut und das starre Festhalten an überkommenen Dingen, die wir eigentlich nicht mehr brauchen" typisch deutsch, egal, ob im Straßenverkehr, in der Schullandschaft oder beim Steuerrecht. "Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Treue" sieht die aus dem heute polnischen Teil Pommerns stammende Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Margrit Schlegel , als typisch deutsche Tugenden. "Wir Deutschen versprechen nicht so leichtfertig etwas. Wenn wir das Gefühl haben, ein Versprechen nicht einhalten zu können, lehnen wir einen an uns herangetragenen Wunsch im Zweifel lieber gleich ab", beschreibt Schlegel, die in ihrer alten Heimat regelmäßig deutsch-polnische Seminare durchführt, ihre Landsleute."
Genauigkeit, Gründlichkeit und latente Unfreundlichkeit", sieht die 54-jährige Leiterin der Schule am Hexbachtal, Ulrike Nixdorff , als typisch deutsche Charakterzüge. Genauigkeit und Gründlichkeit entspringen ihrer Ansicht nach dem Wunsch, es nach den Erfahrungen von NS-Diktatur und Krieg "wieder gut und besser zu machen und das wieder aufzubauen, was in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört worden ist." Dazu gehört für sie auch ein bewusster und kritischer Umgang mit der eigenen Geschichte. Die latente Unfreundlichkeit ihrer Landsleute führt Nixdorff schlicht auf das schlechte Wetter zurück. Ein Mann aus Jamaika sagte ihr jüngst: "Wie kann man fröhlich sein, wenn der Himmel und die Häuser grau sind."
Fröhlich sein? Schauspieler und Regisseur Dean Luthmann (65) attestiert seinen Landsleuten nicht nur einen Hang zur bürokratischen Pedanterie, sondern auch eine "gewisse Humorlosigkeit", die manchmal darin gipfelt, "sich lieber auf Kosten anderer zu amüsieren, statt über sich selbst zu lachen."Die blau-weiße Karnevalistin Dagmar Bohnenkamp (59) traut den Deutschen dagegen auch Frohsinn zu. Sie sieht aber einen auf der Basis individueller Freiwilligkeit funktionierenden Familiensinn, der nicht durch kulturelle Normen erzwungen wird, ebenso als deutsche Tugend wie das starke Bewusstsein für Sauberkeit und Anspruch: "Wenn ich etwas mache, muss ich es gut machen. Sonst kann ich es gleich bleiben lassen."
Alt-Bürgermeister Günter Weber (75), der sowohl den Tag des Mauerbaus wie den des Mauerfalls in Berlin erlebte, sieht die "Gründlichkeit" im Guten wie im Schlechten als typisch deutsche Eigenschaft. Das macht er an dem enormen Unheil fest, das die Deutschen im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben, aber auch in dem erfolgreichen Streben, "sich nach dem totalen Krieg einzubringen, um eine bessere Welt wieder aufzubauen."Künstler Peter Torsten Schultz (67) beschreibt das typisch Deutsche im Telegrammstil: "Märchen, Brot, Eigenheime, Wandern, Recht haben, aufräumen, arbeiten, krank werden, Tatort gucken, nach Amerika gucken und europäisch denken."
Für seine Künstlerkollegin Ursula Vehar (71) geht das Deutschsein durch den Magen: "Unseren Pflaumenkuchen mit Zimt, Zucker und Schlagsahne gibt es so in keinem anderen Land der Welt", weiß sie von ihren ausländischen Freunden und Gästen, die sich von ihr immer wieder einen typisch deutschen Pflaumenkuchen wünschen.
Dieser Beitrag erschien am 3. Oktober 2011 in der NRZ
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