„Mein
Gott, was haben Sie es hier schön.“ Diesen Satz hören Annette und
Wolfgang Kamieth immer wieder, wenn Spaziergänger vor ihrem
Fachwerkhaus am Leinpfad verweilen. Auch Kaufangebote bekommen sie
öfter. Doch die lehnen sie immer dankend ab. Denn dafür gefällt es
ihnen in ihrem Häuschen an der Ruhr, in dem sie gemeinsam alt werden
wollen, selbst viel zu gut.
„Dass
unser Haus so viele Menschen anspricht und auch die meisten Kinder
ein Fachwerkhaus malen, wenn sie ein Haus zeichnen sollen, ist nicht
verwunderlich. Denn Fachwerkhäuser entsprechen mit ihrer ganzen
Gliederung und Maßstäblichkeit der Urform des menschlichen
Wohnens“, findet Architekt Wolfgang Kamieth.
Die
treibende Kraft für den Einzug in das 1784 erbaute Haus, in dem
früher Schmiedemeister und Schiffer mit ihren Familien gelebt haben,
war seine Frau Annette. „Meine Großmutter hat in einem
Fachwerkhaus gelebt und dort auch einen kleinen Lebensmittelladen
betrieben. Das hat mich schon als Kind fasziniert, weil das so
gemütlich und so heimelig war. Da war einfach Leben drin. Seit
dieser Zeit wollte ich auch selbst in einem Fachwerkhaus leben“,
erinnert sich Annette Kamieth.
Bei
ihrem Mann rannte sie mit diesem Wunsch offene Türen ein. Denn der
war als junger Architekt mit der Wiederherstellung einer alten
Arbeitersiedlung beauftragt und seit dem zu einem Fan historischer
Bausubstanz geworden. „Über Jahre haben wir immer wieder nach
einem geeigneten Objekt gesucht, aber die meisten Häuser waren
entweder zu weit weg oder unbezahlbar“, erinnert sich Kamieth.
Doch
dann bot sich plötzlich eine Lösung vor der eigenen Haustür. Denn
gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Dudels stand ein
altes und buchstäblich in die Jahre gekommenes Schifferhaus, in dem
zuletzt eine alte Dame gelebt hatte. Von ihren Kinder bekamen die
Kamieths das Haus zum Kauf angeboten.
„Es
war keine Liebe auf den ersten Blick“ erinnern sie sich an die Zeit
der Kaufentscheidung im Frühjahr 1988. Denn als Architekt und
Farbgestalterin, die sich beruflich mit der Planung und Gestaltung
von Wohngebäuden befassen, ahnten sie, was auf sie zukommen würde.
„Wir
mussten das Haus in enger Abstimmung mit den Denkmalschützern von
der Haustür bis zu den Dachziegeln völlig neu aufbauen, weil gut 70
Prozent des Eichenholzfachwerkes morsch waren“, erzählt Wolfgang
Kamieth. Durch Zufall stießen seine Frau und er bei einem
Spaziergang durch Ratingen auf die Fachwerkhausbaustelle einer
Marburger Zimmerei, die sie für ihren Um- und Neubau gewinnen
konnten. Die baute das gesamte Fachwerk ab, nummerierte alle Balken,
transportierte sie nach Marburg, um dort neue Eichenholzbalken nach
den historischen Vorlagen zu fertigen.
Zwischenzeitlich
bekamen die Kamieths besorgte Anrufe ihrer Bank, weil ihr
Kreditberater bei einem Spaziergang an der Ruhr plötzlich kein
Fachwerkhaus mehr sah. Denn mit den Balken waren auch die ebenfalls
maroden Lehmbausteine des alten Hauses verschwunden. Nichts mehr da,
nur das Grundstück. Doch dann kamen die Zimmerleute aus Marburg
zurück und bauten das gesamte Fachwerk nach historischem Vorbild,
ganz ohne Stahl und dafür mit Holznägeln verbunden binnen einer
Woche am alten Standort wieder auf. Als gelernter Schreiner übernahm
Kamieths Vater die Bauleitung vor Ort.
In
ihren regelmäßigen Baubesprechungen rangen die Kamieths den
Denkmalschützern Kompromisse an den modernen Wohnkomfort ab. In die
das Tageslicht brechenden Sprossenfenster wurde schalldämmendes
Isolierglas und in den bisher durchgängigen Dachstuhl Dachgauben
eingesetzt, um dort mehr Tageslicht hineinzubekommen. In den alten
Bruchsteinkeller des Hauses wurde eine wasserdichte Betonwanne
eingesetzt, um bei Ruhrhochwasser keine nassen Füsse zu bekommen.
Und nicht zuletzt aus energetischen Gründen ersetzte man Lehm und
Rohrgeflecht durch Ziegelbausteine, die mit Kalkmörtel geweißt
wurden und so das neu aufgerichtete Fachwerkhaus im besten Sinne
wieder alt aussehen ließen.
Wer
das alte und zugleich neue Haus betritt, erlebt einen überraschenden,
aber interessanten Kontrast. Das alte Fachwerkhaus von anno 1784 ist
ausgesprochen modern, schlicht und zugleich stilvoll eingerichtet.
„Wir leben zwar in einem Denkmal, aber als Architekt und
Farbgestalterin leben wir auch immer mit der Veränderung“, sagt
die für dieses Innenleben verantwortliche Annette Kamieth. Während
sich im Erdgeschoss die im ehemaligen Kohlenlager untergebrachte
Küche und die Wohnräume befinden, betritt man unter dem Dach
erstaunlich helle und geräumig anmutende Büroräume, die mit einer
kleinen Dachterrasse über der Küche abschließen. Denn die
Katmieths leben nicht nur in ihrem Haus, sondern sie arbeiten auch
dort. „Wir leben unseren Beruf“, sagt Annette Kamieth.
Das
ehemalige Rasenstück auf der Leinpfadseite haben sie in eine
geschmackvolle Terrasse mit Kübelpflanzen umgestaltet. Hecke und
Zaunanlage schützen sie vor neugierigen Blicken vom zunehmend stark
frequentierten Leinpfad, der nicht immer ein ruhiges Pflaster an der
Ruhr ist. Natürlich müssen die Bewohner eines alten Fachwerkhauses
auch Kompromisse machen. Eine Gesamtfläche von 160 Quadartmetern
verteilt sich auf eineinhalb Stockwerke. Das Ess- und Wohnzimmer
im Erdgeschoss ist mit seinen 40 Quadratmetern der mit Abstand größte
Raum des Hauses. Und auch wenn Annette Kamieth versichert, „dass
die Sonneneinstrahlung aufgrund der Südwestlage manchmal so stark
ist, dass wir die Fensterläden schließen müssen, ist es an diesem
Vormittag im Erdgeschoss des Hauses auch nicht übermäßig hell.
Doch das tut dem modernen Wohnkomfort im alten Fachwerkhaus keinen
Abbruch. Und man glaubt es den Kamieths sofort, wenn sie versichern:
„Wir kommen immer wieder gerne nach Hause.“
Zahlen und Fakten zum Denkmalschutz
In
Mülheim gibt es derzeit 907 Baudenkmäler und 1260 Häuser, die
unter Denkmalschutz stehen. Die Zahlendifferenz ergibt sich daraus,
dass Siedlungen, wie der Kirchenhügel, die Mausegatt-Siedlung, die
Papenbusch-Siedlung oder die Siedlung auf der Heimaterde als ein
zusammenhängendes Baudenkmal betrachtet werden.
Ob
ein Haus unter Denkmalschutz gestellt wird, bestimmt das beim
Landschaftsverband Rheinland angesiedelte Rheinische Amt für
Denkmalpflege auf der Basis des Denkmalschutzgesetzes
Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es im § 2 (Absatz 1): „Denkmäler
sind Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren
Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht. Ein
öffentliches Interesse besteht, wenn die Sachen bedeutend für die
Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die
Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für
die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche,
volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen. Die
Vorschriften des Landschaftsgesetzes bleiben unberührt.“
Vor
Ort kontrolliert die beim Stadtplanungsamt angesiedelte Untere
Denkmalbehörde die Einhaltung der Denkmalschutzauflagen. Dabei geht
es um die identitätsstiftenden Merkmale eines Gebäudes, wie
Baumaterialien, Fassaden, Dachflächen sowie Tür- und
Fensteröffnungen.
Anders,
als noch im Jahr 1988 bekommen Hauseigentümer für denkmalschützende
Baumaßnahmen heute keine finanzielle Förderung von Stadt oder Land.
Sie haben aber auf der Rechtsgrundlage des § 40 (Denkmalschutzgesetz
NRW) die Möglichkeit, ihre Baukosten steuermindernd geltend zu
machen. Voraussetzung dafür ist, dass die Baumaßnahmen
abgeschlossen sind und das Haus in die Denkmalliste eingetragen
wurde. Nur dann kann die Untere Denkmalbehörde in Abstimmung mit
LVR-Amt für Denkmalpflege eine entsprechende Bescheinigung
ausstellen.
Dieser Text erschien am 2. Juni 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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