Dienstag, 23. Juni 2015

Modernes Leben im alten Fachwerkhaus an der Ruhr: Ein Besuch bei Annette und Wolfgang Kamieth

Mein Gott, was haben Sie es hier schön.“ Diesen Satz hören Annette und Wolfgang Kamieth immer wieder, wenn Spaziergänger vor ihrem Fachwerkhaus am Leinpfad verweilen. Auch Kaufangebote bekommen sie öfter. Doch die lehnen sie immer dankend ab. Denn dafür gefällt es ihnen in ihrem Häuschen an der Ruhr, in dem sie gemeinsam alt werden wollen, selbst viel zu gut.

Dass unser Haus so viele Menschen anspricht und auch die meisten Kinder ein Fachwerkhaus malen, wenn sie ein Haus zeichnen sollen, ist nicht verwunderlich. Denn Fachwerkhäuser entsprechen mit ihrer ganzen Gliederung und Maßstäblichkeit der Urform des menschlichen Wohnens“, findet Architekt Wolfgang Kamieth.

Die treibende Kraft für den Einzug in das 1784 erbaute Haus, in dem früher Schmiedemeister und Schiffer mit ihren Familien gelebt haben, war seine Frau Annette. „Meine Großmutter hat in einem Fachwerkhaus gelebt und dort auch einen kleinen Lebensmittelladen betrieben. Das hat mich schon als Kind fasziniert, weil das so gemütlich und so heimelig war. Da war einfach Leben drin. Seit dieser Zeit wollte ich auch selbst in einem Fachwerkhaus leben“, erinnert sich Annette Kamieth.
Bei ihrem Mann rannte sie mit diesem Wunsch offene Türen ein. Denn der war als junger Architekt mit der Wiederherstellung einer alten Arbeitersiedlung beauftragt und seit dem zu einem Fan historischer Bausubstanz geworden. „Über Jahre haben wir immer wieder nach einem geeigneten Objekt gesucht, aber die meisten Häuser waren entweder zu weit weg oder unbezahlbar“, erinnert sich Kamieth.

Doch dann bot sich plötzlich eine Lösung vor der eigenen Haustür. Denn gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Dudels stand ein altes und buchstäblich in die Jahre gekommenes Schifferhaus, in dem zuletzt eine alte Dame gelebt hatte. Von ihren Kinder bekamen die Kamieths das Haus zum Kauf angeboten.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick“ erinnern sie sich an die Zeit der Kaufentscheidung im Frühjahr 1988. Denn als Architekt und Farbgestalterin, die sich beruflich mit der Planung und Gestaltung von Wohngebäuden befassen, ahnten sie, was auf sie zukommen würde.

Wir mussten das Haus in enger Abstimmung mit den Denkmalschützern von der Haustür bis zu den Dachziegeln völlig neu aufbauen, weil gut 70 Prozent des Eichenholzfachwerkes morsch waren“, erzählt Wolfgang Kamieth. Durch Zufall stießen seine Frau und er bei einem Spaziergang durch Ratingen auf die Fachwerkhausbaustelle einer Marburger Zimmerei, die sie für ihren Um- und Neubau gewinnen konnten. Die baute das gesamte Fachwerk ab, nummerierte alle Balken, transportierte sie nach Marburg, um dort neue Eichenholzbalken nach den historischen Vorlagen zu fertigen.

Zwischenzeitlich bekamen die Kamieths besorgte Anrufe ihrer Bank, weil ihr Kreditberater bei einem Spaziergang an der Ruhr plötzlich kein Fachwerkhaus mehr sah. Denn mit den Balken waren auch die ebenfalls maroden Lehmbausteine des alten Hauses verschwunden. Nichts mehr da, nur das Grundstück. Doch dann kamen die Zimmerleute aus Marburg zurück und bauten das gesamte Fachwerk nach historischem Vorbild, ganz ohne Stahl und dafür mit Holznägeln verbunden binnen einer Woche am alten Standort wieder auf. Als gelernter Schreiner übernahm Kamieths Vater die Bauleitung vor Ort.

In ihren regelmäßigen Baubesprechungen rangen die Kamieths den Denkmalschützern Kompromisse an den modernen Wohnkomfort ab. In die das Tageslicht brechenden Sprossenfenster wurde schalldämmendes Isolierglas und in den bisher durchgängigen Dachstuhl Dachgauben eingesetzt, um dort mehr Tageslicht hineinzubekommen. In den alten Bruchsteinkeller des Hauses wurde eine wasserdichte Betonwanne eingesetzt, um bei Ruhrhochwasser keine nassen Füsse zu bekommen. Und nicht zuletzt aus energetischen Gründen ersetzte man Lehm und Rohrgeflecht durch Ziegelbausteine, die mit Kalkmörtel geweißt wurden und so das neu aufgerichtete Fachwerkhaus im besten Sinne wieder alt aussehen ließen.

Wer das alte und zugleich neue Haus betritt, erlebt einen überraschenden, aber interessanten Kontrast. Das alte Fachwerkhaus von anno 1784 ist ausgesprochen modern, schlicht und zugleich stilvoll eingerichtet. „Wir leben zwar in einem Denkmal, aber als Architekt und Farbgestalterin leben wir auch immer mit der Veränderung“, sagt die für dieses Innenleben verantwortliche Annette Kamieth. Während sich im Erdgeschoss die im ehemaligen Kohlenlager untergebrachte Küche und die Wohnräume befinden, betritt man unter dem Dach erstaunlich helle und geräumig anmutende Büroräume, die mit einer kleinen Dachterrasse über der Küche abschließen. Denn die Katmieths leben nicht nur in ihrem Haus, sondern sie arbeiten auch dort. „Wir leben unseren Beruf“, sagt Annette Kamieth.

Das ehemalige Rasenstück auf der Leinpfadseite haben sie in eine geschmackvolle Terrasse mit Kübelpflanzen umgestaltet. Hecke und Zaunanlage schützen sie vor neugierigen Blicken vom zunehmend stark frequentierten Leinpfad, der nicht immer ein ruhiges Pflaster an der Ruhr ist. Natürlich müssen die Bewohner eines alten Fachwerkhauses auch Kompromisse machen. Eine Gesamtfläche von 160 Quadartmetern verteilt sich auf eineinhalb Stockwerke. Das Ess- und Wohnzimmer im Erdgeschoss ist mit seinen 40 Quadratmetern der mit Abstand größte Raum des Hauses. Und auch wenn Annette Kamieth versichert, „dass die Sonneneinstrahlung aufgrund der Südwestlage manchmal so stark ist, dass wir die Fensterläden schließen müssen, ist es an diesem Vormittag im Erdgeschoss des Hauses auch nicht übermäßig hell. Doch das tut dem modernen Wohnkomfort im alten Fachwerkhaus keinen Abbruch. Und man glaubt es den Kamieths sofort, wenn sie versichern: „Wir kommen immer wieder gerne nach Hause.“

Zahlen und Fakten zum Denkmalschutz


In Mülheim gibt es derzeit 907 Baudenkmäler und 1260 Häuser, die unter Denkmalschutz stehen. Die Zahlendifferenz ergibt sich daraus, dass Siedlungen, wie der Kirchenhügel, die Mausegatt-Siedlung, die Papenbusch-Siedlung oder die Siedlung auf der Heimaterde als ein zusammenhängendes Baudenkmal betrachtet werden.

Ob ein Haus unter Denkmalschutz gestellt wird, bestimmt das beim Landschaftsverband Rheinland angesiedelte Rheinische Amt für Denkmalpflege auf der Basis des Denkmalschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es im § 2 (Absatz 1): „Denkmäler sind Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht. Ein öffentliches Interesse besteht, wenn die Sachen bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen. Die Vorschriften des Landschaftsgesetzes bleiben unberührt.“

Vor Ort kontrolliert die beim Stadtplanungsamt angesiedelte Untere Denkmalbehörde die Einhaltung der Denkmalschutzauflagen. Dabei geht es um die identitätsstiftenden Merkmale eines Gebäudes, wie Baumaterialien, Fassaden, Dachflächen sowie Tür- und Fensteröffnungen.


Anders, als noch im Jahr 1988 bekommen Hauseigentümer für denkmalschützende Baumaßnahmen heute keine finanzielle Förderung von Stadt oder Land. Sie haben aber auf der Rechtsgrundlage des § 40 (Denkmalschutzgesetz NRW) die Möglichkeit, ihre Baukosten steuermindernd geltend zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass die Baumaßnahmen abgeschlossen sind und das Haus in die Denkmalliste eingetragen wurde. Nur dann kann die Untere Denkmalbehörde in Abstimmung mit LVR-Amt für Denkmalpflege eine entsprechende Bescheinigung ausstellen.

Dieser Text erschien am 2. Juni 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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