Diakon Reinhard Sprafke vor im Pastoralen Trauerzentrum Heilig Kreuz vor einem von seiner Frau Margret gemalten Bild |
Reinhard Sprafke ist ein bodenständiger Mann, einer der mit beiden Beinen im Leben steht. Er macht keine großen Worte. Er hört gerne zu und reagiert auf die Worte seines Gesprächspartners, reflektiert dessen Gedankengang mit seiner eigenen Lebenserfahrung. Das ist seine Stärke. Sprafke ist Seelsorger, einer der das Leben aus ganz unterschiedlichen Perspektiven kennt. Diese Bodenständigkeit erklärt sich ebenso, wie seine Berufung, die zu seinem Beruf wurde, aus seiner Biografie. Eigentlich wollte der Spross einer gut katholischen Familie schon als junger Mann Theologie studieren, nachdem er einen Jesuitenpater predigen gehört hatte. „Mich faszinierte damals, was er sagte und wie er es sagte“, erinnert sich Sprafke an sein jugendliches Erweckungserlebnis, das er heute aber nicht mehr näher beschreiben kann, obwohl es ihn damals prägte. „Du musst erst mal reifen. Dann kannst du immer noch Theologie studieren. Lern erst mal ein richtiges Handwerk“, riet ihm die Mutter. Und so ging er nach der Volksschule als 14-Jähriger erst mal in die Bäcker- und Konditorlehre, statt weiter zur Schule und später zur Universität zu gehen und sich dann zum Priester weihen zu lassen. Das war seine Jugend in den 50er Jahren.
Es sollten
fast 30 Jahre vergehen, ehe Sprafke Anfang der 80er Jahre als Familienvater
seinen Jugendtraum wahr machte und nebenberuflich Theologie studierte, um 1984
dann zum Diakon geweiht zu werden. Der Reifungsprozess, von dem seine Mutter
einst sprach, dauerte am Ende etwas länger als gedacht. Doch er hat ihm
offensichtlich gut getan. Alles im Leben hat eben seine Zeit, früher oder
später.
Als Diakon der
Pfarrgemeinde St. Barbara begleitet er nun schon seit 30 Jahren Menschen auf
den Scheidewegen ihres Lebens, spricht mit ihnen über Taufe, Trauung und Tod. „Wenn
ich zu einem Trau- oder Trauergespräch gehe, kann das auch schon mal drei
Stunden dauern“, sagt der 73-Jährige. Er will sich Zeit nehmen, sich ganz auf
seinen Gesprächspartner einlassen. „Als Kirche sind wir für die Menschen da“,
sagt Sprafke. Damit sagt er schon viel über sein Leben. Der Mann, dessen
Lebensweg im sauerländischen Werdohl begann und ihn Ende der 60er Jahre ins
Ruhrgebiet führte, war immer wieder da, wenn ihn Menschen brauchten.
Als Leiter des
katholischen Jugendheimes von St. Barbara spürte er immer wieder, dass es die
Gemeinschaft ist, die einen Menschen formt. „Mein größtes Glück im Leben war,
dass ich immer wieder in einer starken Gemeinschaft leben durfte, die mich
getragen hat“, sagt Sprafke. Der dreifache Vater und Großvater denkt dabei an
seine Familie, aber auch an seine aktive Zeit als Handballer im katholischen
Sportverein DJK, an seine Gemeinde St. Barbra oder an die Gruppe von Menschen,
mit der er vor fünf Jahren ein Trauerpastorales Zentrum aufgebaut hat.
18 Jahre hat
er als Krankenhausseelsorger im Evangelischen Krankenhaus gearbeitet. Das
prägte seine Sicht auf Gott und die Welt. „Wir leben in einer
Leistungsgesellschaft, in der alles perfekt und stark sein soll und alles, was
schwach und krank ist, verdrängt wird“, beschreibt Sprafke seine soziale
Wahrnehmung.
„Wir sind
Menschen. Wir machen Fehler haben Zweifel. Das gehört dazu“, widerspricht er
dem gesellschaftlichen Pseudoideal des Perfektionismus, der nach seiner Ansicht
Menschen vor allem eines macht, krank. Mit großer Sorge sieht der Diakon, der
in seinem ersten Berufsleben Bäcker und Konditor war, ehe er mit seiner Frau
Margret ein Schuhgeschäft betrieb, „dass inzwischen immer mehr Kinder und
Jugendliche unter Depressionen leiden, weil sie dem Leistungsdruck, den sie zum
Beispiel in der Schule erleben, nicht mehr standhalten.“
Auch Sprafke
kennt aus seiner Biografie den Leistungsdruck, als er früh morgens in der
Backstube und nachmittags und abends im katholischen Jugendheim St. Barbra
arbeitete oder später neben seiner Arbeit im Schuhgeschäft seiner Frau in
Fernkursen Theolgie studierte, um sich auf sein Diakonat vorzubereiten. „Das
war eine sehr intensive und herausfordernde Zeit“, erinnert er sich. Aber er
erinnert sich auch an die Stärkung, die er durch sein Leben in Gemeinschaften
und im Glauben erfuhr.
In einer
Welt der scheinbar perfekten Menschen, die glauben alles selbst zu wissen und
alleine regeln zu können, erscheint vielen Menschen Gott verzichtbar.
„Jugendliche zu begeistern und ihnen vor allem Freude zu vermitteln, die stark
macht“, sieht der Diakon aus Mülheim als den Kontrapunkt, den die Kirche in
ihrer seelsorgerischen Praxis gegen perfektionistischen Zeitgeist setzen muss.
Mit dem christlichen Glauben nicht nur jungen Menschen das Gefühl zu
vermitteln: „Ich darf so sein, wie ich bin, weil ich von Gott auch so angenommen
werde, wie ich bin. Und mein Lebensglück hängt nicht von meiner eigenen
Leistung, sondern von meinem Vertrauen in Gott und meine Mitmenschen ab“, ist
für Sprafke eine zentrale Erkenntnis der Frohen Botschaft Jesu, die heute
nichts an Aktualität verloren habe.
Als
Krankenhausseelsorger und Leiter eines Trauerpastoralen Zentrums an der
Tiegelstraße in Dümpten, das er zusammen mit haupt- und ehrenamtlichen
Mitarbeitern betreut, hat er immer wieder erfahren, „wie gut es Menschen tut,
wenn sie sich vorbehaltlos aussprechen und dabei sich selbst und anderen ihre
Fehler verzeihen können.“ Dabei stellt er gerade in seiner trauerpastoralen
Arbeit immer wieder fest, dass Menschen heute verstärkt das Einzelgespräch und
nicht mehr den Austausch in der Gruppe suchen, „in der sie erfahren können,
dass sie mit ihrem Leid und ihrer Trauer nicht alleine sind.“ Auch das ist
vielleicht Ausdruck einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der
jeder den Anspruch hat, seine Probleme selbst lösen zu können.
Gerade in Gesprächen mit Menschen, die ihm deutlich
machen, dass sie mit dem christlichen Auferstehungsglauben nicht viel anfangen
können, spürt Sprafke immer wieder, „dass da doch noch ein Flämmchen flackert.“
Denn auch sie spüren die urmenschliche Suche nach Sinn in ihrem Leben und das
Gefühl, dass die Lebenden und die Toten „nicht wirklich weit entfernt und
voneinander getrennt sind, sondern eine Gemeinschaft bilden.“ Auch wenn Sprafke
aus seiner eigenen Lebenserfahrung weiß, „dass Glaube nicht ohne Wissen
funktioniert“ und: „Menschen gerne etwas lernen, aber nicht ungern belehrt
werden wollen“, ist er davon überzeugt, „dass der Glaube an einen liebenden
Gott, der die eigentliche Ursache unserer Existenz ist“ nicht wirklich
„rational verstanden werden kann, sondern in der Begegnung und in der
Gemeinschaft emotional erlebt werden muss.“ Dieses Erlebnis zu vermitteln sieht
der spätberufene Diakon, der gerade erst mit der Nikolaus-Groß-Medaille der
Mülheimer Stadtkirche ausgezeichnet worden ist, als die große Aufgabe der
Kirche.
Dieser Text erschien am 3. Mai 2014 im Neuen Ruhrwort
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