Das färbt auch auf die Musiker ab. „Gib alles. Bring die Mädels mal groß raus“, feuert Bass-Gitarrist Kalle Schauenburg seinen Vordermann am Keyboard, David Schünke, an, während sich die Akkordeonistin Lucienne Hougardy und die Cellistin Sonja Oberdörster bei „Mad World“ als Sängerinnen probieren. „Vielleicht zieht ihr den Refrain noch mal etwas in die Länge“, schlägt E-Gittarist und Band-Gründer Bernhard Fuchs vor. Und beim zweiten Versuch klingt es gleich noch besser.
Dass hier Menschen mit und ohne Handicap musizieren, sieht und hört man nicht. Und genau das macht die musikalische Gruppendynamik aus. Hier hat jeder seinen Platz und seine Aufgabe, egal ob er vom Gymnasium aus oder aus den beschützenden Werkstätten der Fliedner-Stiftung kommt. „Ich arrangiere die Stücke so, dass jeder das spielt, was er kann und jedes Instrument gut hörbar zur Geltung kommt“, sagt Musikschullehrer Johannes Burgard, der als musiaklischer Leiter am Klavier den Ton angibt. „Integration oder Inklusion ist in der Musik leichter als etwa an der Regelschule, weil man hier sehr gut auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zusammenspielen kann“, findet Bernhard Fuchs.
Der Musikschul- und Sonderpädagoge hat das Popcornorchester vor gut 15 Jahren gegründet. „In den 80er und frühen 90er Jahren wurden wir mit Bruno’s Band oft wie ein Leuchtfeuer herumgereicht, weil wir eine der ersten integrativen Bands im Lande waren. Inzwischen ist das viel normaler geworden, weil fast jede Musikschule ein integratives Ensemble hat“, sagt Fuchs.
„Ich spiele lieber Pop als Klassik. Und ich finde es toll, dass es locker zugeht und wir die Stücke, die wir spielen auch selbst mit aussuchen können“, sagt die 13-jährige Freda Wix, die das Gymnasium Broich besucht. Sie fühlt sich mit ihrer Querflöte im Popcornorchester besser aufgehoben als in anderen Musikschulensembles.
„Hier wird man so genommen, wie man ist. Man braucht sich nicht zu verbiegen. Und die Stücke sind auch nicht zu schwer“, findet Akkordeonistin Lucienne Hougardy. Und für Cellistin Sonja Oberdörster ist das Popcorn-Orchester einfach toll, „weil ich hier mit meinem Instrument besser zur Geltung komme und nicht wie in größeren Ensembles untergehe.“
„Ich mag einfach den Rhythmus“, sagt der 26-jährige Thorsten Welke, der als Monteur in der Fliednerwerkstatt an der Weseler Straße arbeitet und als Drummer des Popcornorchesters mit Pauke, Schellenring, Gong, einem mit Nägeln gefülltem Regenrohr und kleinen, harfenähnlich klingenden Metallstäben einen Hintergrundsound kreiert, den man in keinem gut Popstück vermissen möchte.
„Das ist schon eine Herausforderung und man erlebt immer wieder etwas Neues“, sagen die Brüder David (Keyboard) und Christian Schünke (Geige), die als Tischler und Schlosser bei Fliedner arbeiten. Sie spielen auch nach fast 15 Jahren immer noch gerne mit und treten etwa bei Konzerten zugunsten von Unicef oder demnächst auf Einladung der Alzheimer-Gesellschaft mit ihren Orchesterkollegen auf. Auch in Kirchengemeinden oder bei Familienfesten war das Popcornorchester schon zu hören.
„Was mir im Popcornorchester besonders gut gefällt, ist der Umstand, dass die Musik hier nicht nur Handicaps, sondern alle Altersunterschiede einfach wegspielt und es egal ist, ob du 15 oder wie ich 58 Jahre alt bist“, sagt der beruflich als Betreuer bei der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung aktive Bass-Gitarrist Kalle Schauenburg. Der Kontakt besteht auch jenseits von Proben und Konzerten. „Gerade für unsere behinderten Mitspieler sind die sozialen Kontakte und die Anerkennung, die sie im und mit dem Popcornorchester erleben von großer Bedeutung“, sagt Bernhard Fuchs.
Dieser Text erschien am 23. Juli 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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