Mittwoch, 4. September 2013

Medien machen noch keine Demokratie: Wie sich der ehemalige Stadtrat und Landtagsabgeordnete Erich Kröhan an den ersten Bundestagswahlkampf erinnert

Der 88-jährige Erich Kröhan gehört zu den Menschen, die sich noch an die erste Bundestagswahl im August 1949 erinnern. Als Stadtrat und Landtagsabgeordneter hat er in den Jahren 1956 bis 1990 nicht nur Politik erlebt, sondern auch selbst mitgestaltet.


Politikverdrossenheit gab es damals nicht. Man hat mehr über Politik und darüber gesprochen, wie es weitergehen könnte, als heute. Es war selbstverständlicher, dass man auch am Arbeitsplatz oder abends beim Bier in der Kneipe Kollegen, Freunde oder Nachbarn von seinem politischen Standpunkt überzeugen wollte, erinnert sich Kröhan an den ersten Bundestagswahlkampf 1949.

Es gab so etwas, wie eine Aufbruchstimmung. Man spürte, dass es aufwärts ging. Und vor allem in der Arbeitnehmerschaft war der Wille groß, den neuen Staat politisch mitzugestalten, denn die Arbeitnehmer sollten nie wieder unter den Stiefel geraten, beschreibt er den damaligen Zeitgeist.

In seiner Rückschau war es die Spannung zwischen dem bereits Erreichten, neue Wohnungen, neue Schulen, neue Währung und neue Waren, und dem, was noch zu erkämpfen war, wie etwa höhere Löhne, geringere Arbeitszeiten, mehr Lebensstandard oder betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die Menschen 1949 politisch elektrisierte.

Die Wahlkämpfe der damaligen Zeit kann man mit heutigen gar nicht vergleichen. Heute läuft viel mehr über die Medien. Damals war der Wahlkampf durch persönliche Gespräche geprägt. Da waren öffentliche Versammlungen der Ort, an dem man sich über seine Standpunkte austauschte. Versammlungen mit 5000 Menschen auf dem Rathausmarkt kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Außerdem wurden viel mehr Flugblätter verteilt und Plakate geklebt, beschreibt Kröhan den Wahlkampfstil anno 1949. Geschlagen haben wir uns nicht, aber es gab natürlich Sticheleien und Neckereien, erinnert sich der Sozialdemokrat an die Auseinandersetzungen mit der christdemokratischen und kommunistischen Konkurrenz. Zu den Neckereien und Sticheleien des ersten Bundestagswahlkampfes gehörte es auch, bei Nacht und Nebel Plakate der politischen Gegner abzureißen oder mit den eigenen Plakaten zu überkleben.

Denn mit der damals noch starken KPD, die alle Macht für die Arbeiter forderte und mit den Christsozialen in der CDU konkurrierte die SPD 1949 um die Stimmen der Arbeitnehmer. Der Adenauer hat uns immer beschimpft, dass wir alles sozialisieren wollten, erinnert sich Kröhan an die Attacken des damaligen CDU-Vorsitzende und spätere Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Ihn nennt er trotzdem respektvoll den großen, alten Mann vom Rhein.

Dass es durchaus ähnliche Denkansätze bei Christ- und Sozialdemokraten gab, hatte die Verabschiedung des Ahlener Programms gezeigt. In ihm bekannte sich die CDU 1947 zum christlichen Sozialismus, der Privateigentum und die soziale Verpflichtung des Eigentums, die Abkehr vom Kapitalismus, Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft, Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Sozialisierung bestimmter Industriezweige miteinander verband.

1947 war für Erich Kröhan allerdings das Jahr, in dem ihn eine Rede Kurt Schumachers davon überzeugte, in die SPD einzutreten. Er hat damals in seinem typischen Stakkatostil gesprochen und die junge Generation von ihrer Kriegsschuld entlastet, in dem er darauf hinwies, dass diese Jugend von Anfang an in einem System aufgewachsen sei, das sie indoktriniert und zu keinem Zeitpunkt losgelassen habe, erinnert sich Kriegsteilnehmer Kröhan an die wohltuenden Worte Schumachers, die Balsam für seine traumatisierte Seele und zugleich auch eine Inspiration waren, selbst am Aufbau der neuen Demokratie mitzuarbeiten.

Nicht weniger als Schumacher beeindruckte ihn auch der 1894 als Sohn einer kinderreichen Bergmannsfamilie geborene Otto Striebeck. Als Kandidat der SPD eilte der damalige Ratsherr und Redaktionsleiter der NRZ im ersten Bundestagswahlkampf 1949 von einer Versammlung zur nächsten und hielt in der SPD-Geschäftsstelle, die damals in einer Baracke an der Ruhr untergebracht war, regelmäßig Sprechstunden ab. Das bevorzugte Veranstaltungslokal der Sozialdemokraten war, laut Kröhan, die Gaststätte Salamander an der Löhstraße.

Er sprach sehr überlegt und hat nicht viel versprochen, sondern in seinen politischen Reden immer wieder auch die Dinge des täglichem Lebens aufgegriffen und damit Vertrauen gewonnen, erinnert sich Kröhan an die Wahlkampfauftritte Striebecks. Am Wahltag, dem 14. August 1949, wurde Striebeck mit 34,9 Prozent der Stimmen zum ersten Mülheimer Bundestagsabgeordneten gewählt. Der CDU-Kandidat Heinz Langner ging mit 28,2 Prozent der Stimmen als Zweiter durchs Ziel. Wilhelm Dörnhaus (FDP) erhielt 13,1 und Friedrich Müllerstein (KPD) 10,1 Prozent der Stimmen. 77 Prozent der Wahlberechtigten, fünf Prozent mehr als bei der letzten Bundestagswahl 2009, hatten bei der ersten Bundestagswahl in Mülheim von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht, insgesamt fast 78?000 Bürger. Zum Vergleich: Am 22. September werden 126?000 Mülheimer zur Bundestagswahl aufgerufen sein

Striebeck hatte es damals aber auch leichter, als die heutigen Bundestagskandidaten, weil der Wahlkreis 1949 kleiner war und nur das Mülheimer Stadtgebiet umfasste, weiß Kröhan.

Striebecks Nachfolgern rät Kröhan: Kandidaten und Abgeordnete müssen Ausdauer und den Mut haben, ein wahres Wort darüber zu sagen, was in unserem Land passiert und nicht unbedingt das, was die Menschen vielleicht von ihnen hören wollen. Auch im Medienzeitalter, glaubt Kröhan, steht am Anfang eines überzeugenden Wahlkampfes die persönliche Ansprache.

Auch wenn Kröhan die heutigen Wähler im Medienzeitalter durch aus für informierter und kritischer hält als die des ersten Bundestagswahljahres 1949, kann es aus seiner Sicht für die Demokratie durchaus gefährlich sein, wenn die Kommunikation zwischen Bürgern und Politikern zu stark über die Medien gesteuert und damit auch unpersönlicher wird.


Dieser Text erschien am 31. August 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung

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