Mittwoch, 5. Februar 2025

Warum ein Priester zum Kirchenkritiker wurde?

 Ein ehemaliger Priester sitzt in einer ehemaligen Kapelle. Der Philosoph und Theologe Dr. Michael Rasche liest aus seiner 2024 bei Books on Demand erschienenen Autobiografie: "Bekenntnisse - Auflösung eines katholischen Lebens". Die meisten seiner Zuhörer, die an diesem Abend den Weg Styrumer Aquarius gefunden haben, kennen ihn noch aus seiner Zeit in der Pfarrgemeinde Sankt Barbara. Dort ist er aufgewachsen. Dort hat er das katholische Milieu erlebt, das ihn inspirierte, katholischer Priester zu werden. Dies war er über 15 Jahre, nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Wissenschaftler und Hochschullehrer.


Doch 2016 zog einen Schlussstrich, stieg aus dem katholischen Priesteramt und dem damit verbundenen Pflichtzölibat aus, heiratete die Frau seines Lebens und wurde Vater von zwei Söhnen. Inzwischen arbeitet Rasche als freiberuflicher Lebens- und Unternehmensberater und als Vortragsredner. "Leider stehe ich bei Veranstaltern aus der katholischen Kirche auf einer schwarzen Liste", beklagt der Ex-Priester. Dabei hat er sein Buch auch für jene geschrieben, die noch an eine radikale Reform der katholischen Kirche glauben und auf sie hoffen. Er selbst, daraus macht der 1973 Geborene, keinen Hehl, werde diese Reform zu seinen Lebzeiten wohl nicht mehr erleben.

Was sich ändern müsste

Was müsste sich ändern, damit die katholische Kirche wieder mehr Menschen für den christlichen Glauben und für ihre Gemeinschaft begeistern könnte? An diesem Abend wird im Aquarius eben über diese Frage diskutiert. Für Rasche wäre es notwendig, "dass die katholische Kirche sich selbst radikal hinterfragt und ihre Strukturen verändert". Die institutionalisierte römisch-katholische Kirche sieht er als Opfer ihrer "unheilvollen und scharfen Doppelmoral", insbesondere beim Thema Sexualität, und in ihrer maßlosen "Überhöhung des Priesteramtes". Weil der Priester im katholischen Amtsverständnis die Kirche verkörpere, dürfe und können in ihr nicht sein, was tatsächlich aber geschehe, etwa, dass Priester trotz Pflichtzölibats in einer hetero- oder homosexuellen Beziehung lebten und sogar Väter geworden seien. Die Überhöhung und Vergöttlichung des Priesteramtes ist in Rasches Augen auf die eigentliche Ursache dafür, dass sich die katholische Amtskirche so schwer damit tut, Missbrauchstäter im Priesteramt offen zu belangen und aus ihrem Amt zu entlassen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. 

Beispiel Niederlande

In den Niederlanden erlebt Rasche, der inzwischen in Rotterdam zu Hause ist, schon heute, was er auch auf Deutschland zukommen sieht, nämlich, dass die katholische Kirche als sozial und öffentlich wirksame Institution aus dem gesellschaftlichen Alltag verschwunden ist. Seine Prognose lautet: "Die Kirche wird als institutionalisierter Rechtsgemeinschaft auch in Deutschland nicht überleben, aber als Religionsgemeinschaft mit kleinen Kerngemeinden der Menschen, die sich in ihrem Leben von der frohen Botschaft und ihren Werten von Menschenwürde und Nächstenliebe inspirieren lassen." Deshalb plädiert Rasche auch für einen flächendeckenden Ethik- und Werteunterricht, um auch die frohe Botschaft des Christentums an die nächste Generation weiterzugeben. In den Niederlanden, so Rasche, erlebe er es, "dass, dass die christlichen Werte auch ohne eine institutionalisierte Kirche überleben" würden. Mit dem Religions- und Kirchenkritiker Friedrich Nietzsche, den er als "abtrünnigsten Pfarrerssohn der Geschichte" bezeichnet, ist Rasche zu der Ansicht gelangt, dass auch die Kirche Gott getötet habe, "weil sie ihre Institution vom Leben der Menschen getrennt und aus der frohen Botschaft eine amtliche Moral mit Kirchenrecht und Katechismus gemacht" habe.

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