Mittwoch, 1. Mai 2024

Als der Ofen aus war

 Berg- und Stahlarbeiter haben das Ruhrgebiet zur Region der Malocher gemacht, auch bei uns in Mülheim. Als die Industrialisierung erst in Fahrt kam, war es Johann Dinnendahl, der hier 1811 die Friedrich-Wilhelms-Hütte eröffnete und dort 1849 den ersten mit Koks betriebenen Hochofen des Ruhrgebietes in Betrieb nahm. Sein Teilhaber Friedrich-Wilhelm Liebrecht machte diese Investition und Innovation erst möglich und wurde deshalb zum Namensgeber der Friedrich-Wilhelms-Hütte, die seit 2023 Teil des deutsch-französischen Rüstungsproduzenten KNDS ist.

Die jüngste Übernahme der FWH zeigt den permanenten Wandel des traditionsreichen Industrieunternehmens, in dem am 11. Mai 1964 der letzte Hochofen stillgelegt wurde. Warum? Weil Erdgas und Roheisen-Importe damals deutlich billiger geworden waren, als Koksgas und Roheisen, made in Germany, by FWH. Zwei Jahre, nachdem in der Friedrich-Wilhelms-Hütte an der Ruhr der Ofen aus war, sollte mit Rosenblumendelle Mülheims letzte Zeche schließen und Mülheim die erste bergbaufrei Stadt an der Ruhr werden.

Im Jahr nach dem letzten Hochofenanstich in der Friedrich-Wilhelms-Hütte schrieb Friedrich Bertram in der Mülheimer Lokalpresse:

 „Das alles ist nicht mehr: Blutrotes Leuchten am nächtlichen Himmel über der Ruhr, das Tosen eines polternden, zischenden und brüllenden Orkans zwischen Öfen, Walzen, zwischen Kränen und grauen Gerüsten. Seit mehr als einem Jahr ist Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte nur noch dem Namen nach eine Hütte. Wo früher vermummte Gestalten in gleißender Hitze flüssigem Roheisen den Weg bahnten, herrscht Stille. Nach 123 Jahren unentwegter Produktion wurde im Mai 1964 dem letzten Hochofen der Hütte das Lebenslicht ausgeblasen.“

Aber das war schon das nächste Kapitel der Never-Ending-Story vom Strukturwandel im Ruhrgebiet. Vor 60 Jahren, als in Deutschland tatsächlich noch Vollbeschäftigung herrschte, wurden die Stilllegungen von Hochöfen und Zechen noch dadurch sozial abgefedert, dass die Stahl- und Bergarbeiter bruch- und problemlos einen neuen Arbeitsplatz, oft sogar im gleichen Betrieb oder im gleichen Beruf finden konnten. Auch der damalige FWH-Chef Birkenkämper versicherte im Mai 1964: "Bei uns wird niemand auf die Straße gesetzt!"

Das sieht heute, etwa nach dem Weggang des Stahlproduzenten Vallourec in Richtung Brasilien ganz anders aus. Durch die Globalisierung hat sich der internationale Standortwettbewerb und die damit verbundenen sozialen Verwerfungen erheblich verschärft. Bei der jüngsten Maikundgebung erinnerte Mülheims DGB-Chef Filip Fischer daran, dass der Vallourec-Vorgänger Mannesmann in den 1970er Jahren, auf dem Höhepunkt des deutsch-sowjetischen Erdgasröhrengeschäftes allein in Mülheim 13.000 Menschen Lohn und Arbeit gab.

Zur FWH


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